Ich brauche ein Land. Eine Karte. Berge, Meer, Städte. Jetzt fühle ich mich wie Gott. Ich nehme den Stift und male herum. Sieht ganz gut aus. Ein paar Namen für Städte. Fertig. Ich nenne es: Keineahnungwasichhiereigentlichmachagonien
Ich bin kein Worldbuilder. Es gibt Fantasyautoren, die gefühlt 90% ihrer Zeit an einem Roman ins Worldbuilding investieren.
J.R.R. Tolkien hat die Kirschen hier sehr hoch gehängt. Als Urvater der Fantasyliteratur war er für so ziemlich jeden der Antrieb. In späteren Generationen dürfte er von einem jungen Zauberlehrling vom Thron geschubst worden sein, aber sein Einfluss ist unverkennbar. Heerscharen von Autoren erfinden Sprachen, fachsimpeln über die Fließgeschwindigkeit eines 8 Grad kalten Flußes bei doppeltem Vollmond und einem Neigungswinkel von 38°. Sie erfinden Tierarten, schütteln sich ganze Schöpfungsmythen aus dem Ärmel und zeichnen Karten, die ich staunend in die Kategorie „moderne Meisterwerke“ einsortiere.
Ich habe immer gerne an Welten herumgesponnen. Aber meist waren sie wie Mosaikteilchen, hier ein bisschen, da ein bisschen, ziemlich bunt und kleinteilig. Dann verlor ich die Lust und habe ich mich etwas anderem zugewendet. Ich habe zuletzt für das Schwarze Auge so etwas wie Worldbuilding gemacht und meine aktive Rollenspielerkarriere liegt inzwischen knapp 15 Jahre hinter mir.
Die ersten Ideen für den Feuerträger entwickelte ich in meinem Urlaub auf den Malediven. Strand, exotische Tiergeräusche und ein paar Cocktails zu viel und schon setzten die Gedanken ein.
Angespornt durch meine Urlaubslektüre, Markus Heitz Ulldart-Saga, begann ich erste Ideen zu entwickeln, während meine innere Stimme immer wiederholte: „Ja, ich meine es ernst mit dem Schreiben!“
Ich fing an mit einem alten Magier, einem jungen Schmied, irgendwas mit magischen Waffen und Feuer. Davon ist heute außer dem Feuer nichts mehr in meinem Roman vorhanden, aber es war der Anfang. Zuhause habe ich mich vor ein weißes Blatt Papier gesetzt und diese Karte hier entworfen:
Jetzt hatte ich tatsächlich etwas auf Papier gebracht. Alles was ich zu dieser Zeit über das Schreiben wusste, kannte ich aus James N. Freys „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“ und war somit erstmal zufrieden, überhaupt etwas getan zu haben.
Ich verstand relativ schnell, dass eine Karte zu zeichnen nicht genügt, um ein Gerüst für die eigene Welt zu bilden. Also surfte ich im Netz, hörte die Schreibdilletanten und las, was Brandon Sanderson über das Thema zu sagen hatten.
Wohl durch den Beruf bedingt kümmerte ich mich erstmal um ein Wirtschaftssystem. Danach entwickelte ich dies und das, wobei ich mich an dieser Liste entlanghangelte, die ich bis heute sehr hilfreich finde.
Ich schrieb ein Treatment meiner Story und es war Rainer Wekwerth der mir sagte, dass er das so nicht lesen würde, weil es zu lang war. Das war mein erster Augenöffner. Meine ganze Geschichte hatte sich so aufgebläht, dass ich es nicht hinbekommen habe, sie auf zwanzig Seiten zusammenzufassen. Ich überlegte also, was ich kürzen konnte, strich hier und da, tötete ein paar Personen und stellte fest, dass die ganze Geschichte totaler Müll war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich über ein halbes Jahr geplottet (oder das getan, was ich zu diesem Zeitpunkt für plotten hielt) und Zeit in meine Welt gesteckt.
Nach drei Tagen mit teils blutigen inneren Konflikten nahm ich das Gesamtwerk und warf es in die Tonne.
Da Rainer aber ein Treatment am Tag X von mir wollte und ich nun mit Garnichts dastand, nahm ich meine alte Karte, verlegte die Story von dem ursprünglichen Ort in die Hauptstadt und entwickelte eine ganz neue Geschichte.
Was hier auf der Strecke blieb, war das detailversessene Planen meiner Welt, die plötzlich nicht mehr zu meiner neuen Geschichte passte. Einzig das Magiesystem bildete so etwas wie den Rahmen, den ich auch um meine neue Story legen konnte.
Ich plante, plottete und schrieb neu. Mit alter Karte, ohne Wirtschaftssystem, ohne den Namen der Schwester des Herolds des besten Kämpfers des Königs der Vorderlande zu kennen.
Beim Schreiben stelle ich fest: Auf diese Art Fantasy zu schreiben hat Vor- und Nachteile.
Mein Vorteil: Der Fokus liegt voll auf den Charakteren und deren Geschichte. Ich halte mich mit Backstory zurück und habe nicht den Drang, den Leser ständig mit Beiläufigkeiten meiner Welt zu quälen, die ich mühsam entworfen und deswegen auch unter die Leute bringen will (…hust… Pfeifenkraut …hust).
Mein Nachteil: Ich habe dauernd Löcher zu stopfen. Wie sieht das Gebäude aus? Wie funktioniert das Wahlsystem? Was macht die Polizei? Wie gehen die mit Geld um? Allerdings merke ich bei so manchen Beschreibungen, dass mir selbst ein Bild vor Augen fehlt. Diese Stellen markiere ich, damit ich später unbedingt nachbessere.
Unter dem Strich bin ich ganz zufrieden damit, die Welt beim schreiben zu plotten. Mir fallen Dinge auf, an die ich im Vorfeld nicht gedacht hätte. Dafür nehme ich Löcher in Kauf, die ich später stopfen muss. Oft schreibe ich hier aus dem Instinkt, was mir schon ein paar Ideen gebracht hat, auf die ich sonst vielleicht nicht gekommen wäre. Das Gute: Einige Sachen entwickele ich bewusst mit dem Hintergrund, Konfliktpotenzial zu haben. Das macht die Welt lebendig und ich habe einen Blick auf die Konflikte meiner Geschichte
Mir ist es nicht möglich eine Welt bauen, und an alles denken. Es mag Menschen geben, die das können, ich gehöre nicht dazu. Für mich läge hier einiges im Argen zwischen Einsatz und Ergebnis; Wichtig ist mir die Logik, aber mir sind die meisten Logikfehler erst beim Schreiben aufgefallen – Widersprüche, Unsinnigkeiten – die ich vorher fröhlich vor mich hingeworldbuildet habe.
Insgesamt werde ich meinen zweiten Roman gänzlich anders vorbereiten als meinen ersten, aber ich habe die Erkenntnis für mich mitgenommen, dass ich zu Beginn lieber etwas weniger Worldbuilde und mehr Herz und Wille in die Story und die Charaktere stecke. Lediglich das Magiesystem und das Grundgesrüst müssen stehen – dafür finde ich den oben verlinkten Fragebogen der SWFA hilfreich.
Wie geht ihr mit Worldbuilding um? Baut ihr erst Monatelang eure eigene Welt, oder flickt ihr hier und da? Wie wichtig sind euch Dinge wie Sprache, Wirtschaft, Politik?
Ich musste so schmunzeln, ehrlich. Ich bin selbst Weltenbastler und Autor / Selfpublisher, genau in dieser Reihenfolge und der Ursprung war das Fantasyrollenspiel. Bei mir ging es ähnlich los. Zuerst wollte ich eine eigene Welt haben und habe tatsächlich eine schöne Weltenkarte (steht bis auf einen Kontinent noch nicht online) erschaffen, allerdings ohne die vielen Details, dazu hätte ich irrsinnig viel Hintergrundwissen für die jahrtausendelange Entwicklung bis zur Gegenwart gebraucht. Zuerst wollte ich nur basteln und mutierte durch den Tip „schreib Kurzgeschichten, um deine Welt auszubauen und Leben einzuhauchen“ zum Autor.
Tja, was soll ich sagen. Aus den Anfängen der Kurzgeschichte ist so gut wie nichts geblieben oder hat sich stark verändert. Dafür entstand der Auftakt zu einer Tetralogie, deren Einzelteile nahtlos aneinander anschließen, aufbauen und die vorhandene Lokalität mit ihren Lebewesen näher beleuchten. So baue auch ich nebenbei die Welt weiter aus. Mein zweiter Band wird am 30. August 2016 erhältlich sein und die anderen beiden werden wohl im Abstand von 2 Jahren folgen, da ich nur hobbymäßig als Autor arbeite und nicht hauptberuflich. Daher gibt es eher kleckerweise neue Informationen, es muss ja alles Hand und Fuß haben.
mfg Rike Moor
Hallöchen,
ich finde deine Artikel generell immer sehr schön zu lesen – dafür mal ein dickes Kompliment!
Dieses Worldbuilding ist genau das, was mich bisher vom Schreiben einer Fantasy-Story abhält. Ich will eine Welt kreieren, die für mich perfekt ist, und das hält mich davon ab überhaupt anzufangen, weil das Ziel noch zu groß für mich ist… Aber selbst bei meinem Thriller-Projekt habe ich überlegt: ist das eine Welt, die genau so aussieht wie unsere jetzige, oder ändere ich sie ab? Und irgendwie bin ich bis jetzt zu dem Entschluss gekommen, dass ich mich in der Welt, die ich kreiere, auskennen muss und auch drin wohlfühlen, damit ich überhaupt erst eine stringente und logische Geschichte darin aufbauen kann.
Also mach ich wohl zu ein Zwischending, zwischen Vorarbeit und Mitten-drin-Erschaffen.
Liebe Grüße, Jenny
Hi Jenny,
danke für die lieben Worte, das freut mich sehr!
Es ist oft so, dass man Dinge nicht anfängt, weil sie zu groß scheinen. Ich bin froh, dass ich mir vor dem Schreiben meines
Buches da keinen Kopf drüber gemacht habe.
Ich glaube, das Perfektionismus hier oft bremst. Manchmal ist es besser, einfach anzufangen, als alles im Vorfeld perfekt machen zu wollen. Aber hier arbeiten Menschen einfach unterschiedlich :-) Ein Zwischending klingt ja gut – ich bereite ja auch vor und mache nicht alles während des Schreibens.
Lieben Gruß
Bruno
Worldbuilding kann man sich fetzen drüber. Aber Regen bleibt Regen, Flüsse bleiben Flüsse, Berge bleiben Berge. Für mich setzt schreiben und Worldbuilding ein, wenn du einen Andersregen einen Andersberg oder einen Andersfluß in deinem Text brauchst. Regen aus Wasser brauchst du niemandem erklären, Blutregen schon. Wie breit oder lang ein Fluß ist in der jeweiligen Welt interressiert allenfalls den imperialen Finanzminister. Aber wer will seine Leser mit dem Kerl langweilen? Wie ich das sehe hast du ersten Wehen gut überstanden.
Gruß Wolfgang
Lieber Wolfgang,
das ist ein pragmatischer Ansatz der mir gut gefällt. Man muss natürlich nicht erklären was ein Fluss ist, aber möglicherweise ja, welche Rolle er in der Geschichte spielt. Siehe Trident in GoT, aber das hilft ja nur, die Geschichte lebendiger zu machen.
Lieben Gruß
Bruno