„Mord am Hellweg“ ist das größte europäische Krimifestival. Auf Twitter findet man wenig darüber, obwohl sich das Line-Up mit Autoren wie Sebastian Fitzek, Jo Nesbo, Jussi Adler-Olsen, Simon Beckett, Joe Bausch oder Chris Carter mehr als sehen lassen kann – und das ist nur eine Handvoll der rund 150 Veranstaltungen.
Mord am Hellweg findet seit 2001 alle zwei Jahre an tollen Orten rund um den Hellweg der Kreisstadt Unna statt und wird u.a. vom Westfälischen Literaturbüro in Unna organisiert.
Ich bin sehr angetan von den vielfältigen Facetten dieses tollen Festivals und möchte es hiermit ganz ausdrücklich allen Lesern meines Blogs ans Herz legen. Mehr über das Festival findest Du auf
Als ich den kleinen Saal betrete ist er bereit gut gefüllt. Nur noch wenige Plätze sind frei, die Veranstaltung bis auf den letzten Platz ausverkauft. Weil ich zwei freie Plätze auf der Loge sehe, unterdrücke ich den Impuls den Mann neben mir vom Stuhl zu schubsen.
Der Platz ist gut. Wir haben einen hervorragenden Blick auf die Bühne, auf der sich nun unter dem Applaus der Krimifans Oliver Mommsen und Margarete von Schwartzkopf zu ihren Stühlen begeben.
Dann kommt Jo Nesbo. Er ist ein durchschnittlich großer, hager wirkender Mann der mich aus der Entfernung an Dr. House erinnert. Er trägt eine blaue Jeansjacke über einem schwarzen T-Shirt. Das rotblonde Haar steht wild vom Kopf, in seinem Bart wagen sich die ersten grauen Haare ans Tageslicht. Er sieht aus wie jemand, der sich viel bewegt, was sicher nicht ungewöhnlich für einen Mann ist, der um ein Haar Fußballprofi geworden wäre.
Er lächelt kurz und setzt sich. Seine Bewegungen sind ruhig, als könne ihn selbst ein Sturm nicht aus der Ruhe bringen. Die über dreißigmillionen verkauften Bücher lasten nicht auf seinen Schultern. Margarete von Schwarzkopf stellt Jo Nesbo vor und erklärt, dass er um ein Haar seinen Flug nicht bekommen hätte, weil die griechischen Inseln im Wetterchaos versinken und Nesbo dort Klettern war..
Nesbo ist inzwischen 56. Wie ich kommt er aus der Finanzbranche. Ich lächle, denn mit BWL verbinden die meisten wohl keine Autoren. Vor allem keine, die so gut schreiben wie er. Aber er ist auch Musiker und hat es in Norwegen zu einiger Bekanntheit gebracht.
Wenn Nesbo spricht, klingt es ruhig und überlegt. Wäre er Telefonjoker bei „Wer wird Millionär“ hätte man wohl erst Angst, dass die Antwort nicht rechtzeitig käme um sodann mit einer glasklaren und richtigen Antwort für das nervenzerreißende Warten belohnt zu werden. Ich mag ihn sofort. Oliver Mommsen erlaubt sich ein paar Scherze und an Nesbos Lachen kann ich erahnen, dass hinter der ruhigen Fassade jemand steckt, für den das Sprichwort „stille Wasser sind tief“ erfunden wurde.
Margarete von Schwarzkopf entlockt mir eine innere Bäckerfaust als sie sagt, dass es einen neuen Harry Hole Teil geben wird. Ihre rauchige Stimme erinnert mich an eine Voodoo-Mama und weniger an eine gebürtige Prinzessin zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg. Sie, Nesbo und Oliver Mommsen sind ein gutes Team, vor allem von Schwarzkopf hält nicht damit hinterm Berg, was für eine hohe Meinung sie von Jo Nesbos Schreibfertigkeiten hat.
Ich blättere kurz in dem eben gekauften Exemplar von Blood on Snow und lese darin, dass Jo Nesbo erst mit 37 mit dem Schreiben begonnen hat. Ich bin 35. Wir kommen beide aus der Finanzbranche. Mein Gehirn beginnt Verbindungen zu knüpfen, die nicht da sind.
Dann schwenkt auch die Moderatorin auf das Buch. Schwarzkopf fragt den ruhigen Norweger, wie er auf die Geschichte gekommen ist und ich horche auf. Das ist für mich als Autor interessant. Im gesamten Verlauf stellt sie interessante Fragen, man merkt ihre Erfahrung.
Nesbo erzählt, dass er am Flughafen in Kanada abgeholt wurde. Dort erkenne man den Ruhm eines Autors an der Größe der Limousinen. Er sieht einen Mann mit einem Schild auf dem sein Name steht, folgt ihm, steigt in eine nicht ganz so große Limousine, als unerwartet ein weiterer russisch sprechender Mann vorne einsteigt und sie losfahren. Doch der Wagen fährt nicht Richtung Toronto, obwohl das sein Ziel war.
Er verrät nicht, wo er wirklich hingefahren ist, aber die Idee für einen Roman war geboren. Abgeholt werden vor allem wohlhabende Menschen und niemand überprüft ernsthaft, zu wem er da ins Auto steigt. Nesbo ist zum Glück angekommen.
Aus diesem Erlebnis wuchs die Idee eines Buches und des dazugehörigen Schriftstellers. Er lebte in der 70ern veröffentlichte mit großem Erfolg ein Buch namens „Blood on Snow“. Nach Jahren jedoch schwindet sein Ruhm. Die Limousinen werden kleiner, doch ihm gelingt kein adäquates weiteres Buch. Also schreibt er einen zweiten Teil mit dem vielsagenden Titel „Blood on Snow 2: Mehr Blut“ (auf Norwegisch: Mere Blod). Das Publikum lacht ob dieser kreativen Glanzleistung des erfundenen Autors.
Dieser Autor wird auf Nesbos oben beschriebene Art entführt. Je mehr Nesbo sich mit diesen Blood on Snow Büchern für seine Geschichte beschäftigt, desto mehr will er über das Buch wissen, bis er schließlich auf die Idee kommt, die Bücher einfach zu schreiben – da es sonst keine tue, wie er anmerkt.
Er hatte die Idee, die Bücher unter dem Namens Tom Johansen herauszubringen, was der Name des Entführten ist. Der Verlag und er planten eine groß angelegte Aktion, mit eigener Wikipediaseite für Tom Johansen, in der auf dessen Entführung eingegangen wird. Eine Homepage sollte online gehen, eine ganze Existenz entstehen. Doch die Behörden schoben dem einen Riegel vor, denn man darf zwar unter Pseudonym veröffentlichen, aber keine komplette Existenz erfinden. Dieser Artikel aus der Welt zeugt aber noch von diesen Absichten.
So entstand Blood on Snow unter dem Namen Jo Nesbo. Die Reihe besteht aus drei Teilen. Neben dieser Reihe arbeitet Jo Nesbo an dem schon erwähnten 11 Teil seiner Harry Hole Serie, sowie an einer Neuadaption von Shakespeares McBeth, auf die zumindest ich mich sehr freue.
Oliver Mommsen macht sich nun daran aus Blood on Snow vorzulesen und es wird schnell klar, dass dieses Buch etwas besitzt, das anderen Nesbo Titeln eher fehlt: Humor. Mommsen liest mit einem leichten Schelm in der Stimme und macht es mir leicht, mir die Figur vorzustellen, die da in Richtung Nord-Norwegen flieht und gar nicht so böse rüberkommt, wie man es gemeinhin von Geldeintreibern erwartet.
Auf die Frage, ob Nesbo gezielt etwas komisches schreiben wollte, sagt er, dass es nach den ganzen düsteren Romanen um Harry Hole dem Kopf gut tut, wenn etwas anderes zu Papier käme. Er hat ebenfalls ein Kinderbuch geschrieben. Allerdings sei es nicht seine Herangehensweise, etwas lustiges schreiben zu wollen, sondern die Geschichte entwickele sich aus den Charakteren heraus.
Er erzählt, dass der Durchschnittsnorweger niemals den Norden des Landes zu sehen bekommt und dass es von Oslo genauso weit nach Rom ist, wie an die Nordspitze des eigenen Landes. Er lässt sich sogar zu der Behauptung hinreißen, die dort lebenden Samen seien die Römer Norwegens, offenherzig und kontaktfreudig, wohingegen der gemeine Norweger eher ruhiger Natur sei.
So werden die Samen zum wesentlichen Bestandteil seines Buches. Er vergleicht sie mit den Amish in Amerika, erzählt, dass es dort sehr strenge religiöse Strukturen gibt die zum Teil sogar verbieten, dass Vorhänge benutzt werden obwohl dort ein halbes Jahr lang durchgängig die Sonne scheint.
Dieses Thema rund um Minderheiten kann Befindlichkeiten auslösen und auch Nesbo berichtet, dass er zu Beginn ein wenig Gegenwind für die Sichtweise seiner Figuren erhielt. Natürlich hat Nesbo mit Absicht überzeichnet und war sich bewusst, was er da tat. So verschwimmt die anfängliche, von Vorurteilen geprägte Sicht des Protagonisten im Laufe des Buches und Nesbo hält lediglich den Norwegern den Spiegel vor, indem er sagt: „So hat ein Durchschnittsosloer in den Siebzigern nunmal die Samen gesehen. Wir haben Ihnen Ihre Sprache verboten. Die meisten von euch werden nie einen Samen zu Gesicht bekommen.“
Er sagte, es sei keine Ablehnung, wohl aber eine tiefe Ignoranz gegenüber diesem Teil der Bevölkerung vorhanden.
Man merkt Nesbo an, mit welchem feinsinnigen Respekt er den Samen begegnet.
Die Hauptfigur des Romans flieht in den hohen Norden um sich dort zu verstecken. Dort lernt er die dort lebenden Samen kennen und entwickelt von seiner zunächst von Vorurteilen geprägten Sicht einen ganz anderen Blick auf die Leute dort. Die Geschichte erinnert ein wenig an „der einzige Zeuge“ mit Harrison Ford und zeigt mir einmal mehr, dass der Stoff nicht neu erfunden, sondern einfach nur sehr gut umgesetzt werden muss, um ein gutes Buch zu schreiben.
Er spricht über Wertbilder der Gemeinschaft, dem Glauben an Gott und welche Auswirkungen es auf eine Gesellschaft hat, wenn man beobachten kann wie der eigenen Gemeinschaft der Nachwuchs ausgeht.
Das seine eignen Großeltern noch eine weitaus distanzierte Einstellung zu beispielsweise Homosexualität hatten, aber nicht weil sie schlechte Menschen waren, sondern weil es dem damaligen Wertesystem entsprach und dass er sich vor diesem Hintergrund die Frage stellt, wie seine Werte, die er für richtig und beständig hält, in dreißig Jahren von jemand anderem bewertet werden.
Nesbo kann sich den ein oder anderen feinen Seitenhieb auf Religionen nicht verkneifen. Er berichtet, dass es selbst innerhalb dieser religiösen Minderheiten noch Streitigkeiten darüber gibt, welches der „wahre“ Glaube sei und dass jeder, der nicht an den eigenen Glauben glaubt, in der Hölle brenne (was ein Running Gag einer Figur des Buches ist). Da es unterm Strich dann nur einige wenige hundert Menschen auf der Welt gibt, stellt er fest, dass es später im Himmel sehr viel Platz geben müsse.
Es geht um Liebe, Werte, um Spannung. Man merkt bei Nesbo, dass seine Bücher lange recherchiert wurden, dass er sich ausgiebig mit den Themen beschäftigt.
Wenn ich vorher schon großer Fan des Norwegers war, bin ich es jetzt umso mehr und ich freue mich bereits auf die kommenden Veröffentlichungen.
Zum Ende wird noch erzählt, dass Harry Hole 2017 ins Kino kommt. Der Schneemann wird verfilmt, Harry Hole wird von Michael Fassbender verkörpert, der zumindest optisch meiner Meinung nach eine hervorragende Wahl ist.
Es war lehrreich, wie Nesbo auf Ideen kommt und dass er seine Geschichten von den Charakteren aus plant. Ich konnte richtiggehend mitfühlen, wie sich die Ideen von der Taxifahrt bis hin zu den Büchern des erfundenen Autors entwickeln. Spannend war für mich die Betrachtung der Wertesysteme und wie ich viele der Tipps, die ich rund ums Schreiben erhalten und erlernt habe, in Nesbos Art zu arbeiten wiedergefunden habe.
Für mich war dieser Abend rundum gelungen und eine richtige Motivationsspritze, mich wieder an mein eigenes Werk zu setzen.