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Dieser Artikel ist von Mitte 2017 und damit an manchen Punkten, z.B. bei den Daten über Social Media Nutzung, nicht auf dem aktuellsten Stand. Dem Inhalt tut das aber keinen Abbruch. 

Als Autor ist man viel beschäftigt. Man muss schreiben, revidieren, recherchieren, organisieren und lesen. Nur sind die meisten von uns nicht nur Autor. Manche sind Lehrerin, andere Bänker, wieder andere studieren. Manche haben Elternzeit, andere sind alleinerziehend. Einige sind nicht nur Autor, sondern sogar Selfpublisher. Wieder andere arbeiten bei der Polizei und mindestens eine, so habe ich mir sagen lassen, ist sogar Psychologin.

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Die Diva Inspiration ist ein Mitglied der Dreifaltigkeit der schreibenden Zunft. Sie ist die gutaussehende Schwester der Schreibblockade. Während erstere ständig im Weg steht, laut dazwischenruft oder mal wieder Kaffee über die Tastatur gekippt hat, hat letztere die Grazie einer Hollywooddiva.

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Liebe Leser,

nach nun fast einem Jahr geht meine erste Staffel von „augenschelm fragt“ zu Ende. Es hat mir viel Spaß gemacht, mit so vielen Autoren zu sprechen, so viel über Ihre Gewohnheiten zu erfahren und zu sehen, wie sie ihrer täglichen Arbeit nachgehen.

Die Interviews waren lehrreich, unterhaltsam und vielschichtig.

Die Idee dieser Serie war es, Neueinsteigern und auch erfahrenen Autoren zu zeigen, dass es „DEN WEG“ für Autoren nicht gibt, dass jeder seine eigenen Pfade austritt um ans Ziel zu gelangen. Als ich diesen Fragebogen entwickelte, hatte ich keine Ahnung, wen ich alles interviewen würde und es hat eine Weile gedauert, bis ich mir ein Herz gefasst habe und auch erfahrene Autoren anschrieb.

Da die meisten Leute aus der schreibenden Zunft wenig Zeit haben, war die Rücklaufquote insgesamt gering. Umso dankbarer bin ich allen, die sich die Zeit genommen haben, mir und euch diese Fragen zu beantworten.

Aus diesem Grund bin ich auch auf mein letztes Interview überaus stolz. Ich bin großer Fan von Sebastian Fitzek und kann an dieser Stelle nur sagen, was für ein angenehmer und netter Zeitgenosse er ist. Es hat mich viel Überwindung gekostet, ihn anzuschreiben und immer wieder zu erinnern (es hat insgesamt über 6 Monate gedauert, bis wir dieses Interview zusammen hatten), aber Sebastian hat wirklich ein Herz für seine Fans und junge Autoren und sollte er irgendwann von mir genervt gewesen sein, so hat er es mich nicht merken lassen :-)

Ich darf euch heute also ein Interview mit dem aktuellen Krimipreisträger, Bestseller- und möglicherweise aktuell erfolgreichsten deutschen Thrillerautoren anbieten, der über 8 Millionen Bücher in 24 Sprachen verkauft hat.

Viel Spaß beim Lesen!

www.sebastianfitzek.de

Interview

Teil 1: Über Dich

1. Zu Deiner Person: Kannst du vom Schreiben leben? Falls nicht, was
machst Du, außer zu schreiben?

Ich genieße das Privileg, vom Schreiben leben zu können.

2. Wie bist Du dazu gekommen zu schreiben und seit wann schreibst du?

Ich habe Anfang 2000 angefangen und bin seitdem nicht mehr vom Schreiben losgekommen.

3. Seit wann schreibst du mit dem festen Vorsatz, zu veröffentlichten?

Das war von der ersten Zeile an. Ich wollte wissen, ob es mir gelingt, etwas zu Papier zu bringen, das nicht nur mir alleine gefällt.

4. Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert?

Zunächst gar nicht, denn ich habe es niemandem erzählt, außer meinen Eltern. Die haben mich allerdings sehr unterstützt.

5. In welchem Genre schreibst Du und was begeistert Dich an diesem Genre?

Ich schreibe Psychothriller. Die menschliche Seele ist für mich wie die Tiefsee, ein Ort, von dem jeder ein Bild vor seinem Auge hat, aber die Wenigsten haben ihn erforscht und niemand kennt all seine Geheimnisse.

Teil 2: Publikation und Marketing

6. Ist Verlagspublikation oder Self-Publishing dein Weg?

Verlag.

7. Wieso hast du dich für diesen Weg entschieden?

Vor elf Jahren war das damals der logische, erste Weg und ich war froh, dass ein Verlag mir eine Chance gab.

8. Wie lange musstest Du warten, bis ein Verlag ein Manuskript von Dir genommen hat?

Drei Jahre.

9. Was sind Deine besten Tipps, um auf einen Roman aufmerksam zu machen?

Alles steht und fällt mit der Geschichte. Natürlich gibt es viele Marketing- und PR-Maßnahmen. Doch als Anfänger bekommt man vom Verlag in der Regel kein Budget dafür. Mein Erstling wurde in einer Auflage von 4000 Stück gedruckt, es gab keine Werbung, keine Interviews bei der Veröffentlichung, keine Lesungen. Hätte sich der Inhalt des Buches nicht herumgesprochen, wäre es im Meer der Veröffentlichungen untergegangen. Natürlich gehört dazu auch sehr viel Glück, aber nichts schlägt jemals die Kraft der Mundpropaganda. Man muss also etwas verfassen, das andere gerne weiterempfehlen. Dazu muss man zunächst ein Buch schreiben, das man selbst gerne lesen will. Ich rate also dazu, nicht beim Schreiben einen „Markt“ im Kopf zu haben, sondern nur die Geschichte, die man unbedingt erzählen will.

10. Wie findest Du Deine Zielgruppe?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Siehe Frage 9.

Teil 3: Gewohnheiten

11. Wie sieht sein gewöhnlicher Schreibtag von morgens bis abends aus?

Ich setze mich um 09.00 Uhr an den Schreibtisch und schreibe so lange es geht.

12. Auf welche Art entwickelst Du eine Idee zu einer Geschichte?

Ich versuche eine lose Idee mit einem etwa 10-seitigen Exposé für mich selbst greifbar zu machen. Dann fange ich an zu schreiben und warte darauf, dass sich die Figuren und die Geschichte verselbständigen.

13. 3-Akte, 5-Akte, 8 Sequenzen. Wie strukturierst Du Deine Geschichte?

Ich tendiere zu einer dreiaktigen Struktur, mache mir über Erzähltheorie aber eher selten Gedanken. Das geschieht meist intuitiv.

14. Wie viele Stunden arbeitest Du pro Woche an Deinem Buch?

Das lässt sich so nicht sagen. Ist eine Lesetour auch Arbeit am Buch? Oder zählt nur das reine Schreiben? Fakt ist: Ich arbeite täglich an einem Buch, auch an Weihnachten, zu meinem Geburtstag, etc. Ohne Ausnahme.

15. Wie oft überarbeitest Du im Schnitt?

Drei Mal.

16. Wie gehst Du bei der Überarbeitung vor? Hast Du ein bestimmtes System?

Ich lese mir die Entwürfe laut vor und versuche die Anmerkungen meiner Lektorinnen so gut es geht zu berücksichtigen.

17. Wie motivierst Du Dich zum Schreiben?

Mit einem guten Buch oder einem Film, der mich inspiriert.

18. An wie vielen Projekten arbeitest du gleichzeitig?

Immer nur an einem Buch.

19. Was sind, aus Deiner Sicht, Deine 3 wertvollsten Gewohnheiten im
Bezug auf das Schreiben?

1. Kontinuität. Viele Menschen denken, ein Buch wird umso besser, je mehr man sich damit Zeit lässt. Sorgfalt ist natürlich eine Grundvoraussetzung, aber gerade bei einem Thriller ist es wichtig, dass man das Timing und sein Figurenpersonal fest im Griff hat. Wenn man nur alle zwei Monate einen Satz schreibt, dann zerfasert die Geschichte. Besser ist es drei Monate am Stück Tag durchzuarbeiten.

2. Pausen einplanen.
Es mag wie ein Widerspruch zu Punkt 1 klingen, aber Kreativität entsteht häufig durch Langeweile. Also mal ganz bewusst das Handy weglegen und irgendwo hinfahren wo nichts los ist. Der Geist beginnt sich erst zu beruhigen, dann zu arbeiten und man kommt auf völlig neue Ideen.

3. Scheuklappen aufsetzen
Wir haben uns diesen Beruf nicht gewählt, um Auftragsproduktionen zu leisten. Wir wollen Geschichten erzählen, jeder aus einem anderen Grund. Es gilt, diesen Grund herauszufinden und ihm treu zu bleiben, egal was andere von einem wollen.

20. Wie viel der Zeit die Du schreibst macht dir Spaß und wie viel ist eher harte Arbeit?

Da Spaß und harte Arbeit kein Widerspruch ist, hält sich das wohl die Waage.

21. Wie lange hast Du an Deinem ersten fertig geschriebenen Roman gearbeitet?

Brutto zwei Jahre, netto vielleicht 4 Monate.
Ich hatte ja noch einen Brotberuf und konnte nur in meiner Freizeit und im Urlaub arbeiten.

Teil 4: Inspirationen

22. Welches Buch über das Schreiben kannst du unbedingt weiterempfehlen?

Die Odyssee des Drehbuchschreibers von Christoper Vogler.

23. Was war der beste Ratschlag, den du im Bezug auf das Schreiben
erhalten hast?

Nie zu glauben, der erste Entwurf wäre bereits perfekt.

24. Welche drei Romane haben dich am meisten inspiriert und warum? 

Diese Frage ist angesichts der Vielzahl der Bücher, die mich beeinflusst haben, nicht zu beantworten. Müsste ich allerdings ein einziges Buch nennen, wäre es „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende, die mir die Welt der Bücher buchstäblich eröffnet hat.

Teil 5: Organisation und Persönlichkeit

25. Welche fünf Eigenschaften sollte ein Autor unbedingt besitzen?

Empathie, Kreativität, Ausdauer, Kritikfähigkeit und einen guten Rücken.

26. Welchen Ratschlag möchtest du jemandem mitgeben, der gerade erst mit dem Schreiben begonnen hat?

Höre erst auf Ratschläge, wenn du mit deinem ersten Entwurf fertig bist.

27. Familie, Arbeit, Studium, Schreiben, Vertrieb der Bücher, Social Media. Der Kalender ist voll, was tust du, um nicht auszubrennen dabei?

Ich lese, verreise gerne und spiele mit meinen Kindern.

Teil 6: Ausblicke und Einblicke

28. Glückwünsch! Du hast eine Fee gefunden und sie erfüllt Dir einen

Rechte des Fotos liegen beim Autor

Wunsch. Einzige Einschränkung, es muss etwas mit Büchern zu tun haben. Was wünschst du dir?

Alle meine Lieblingsautoren noch nicht entdeckt zu haben.

29. Wenn Du eine Sache am Buchmarkt ändern könntest, was wäre das?

Die Schließung lokaler Buchhandlungen.

30. Zum Schluss was Handfestes: Welche Workshops, Lehrgänge, Coverdesigner, Lektoren oder Korrektoren kannst du aus Deiner bisherigen Arbeit empfehlen?

Oh, da würde ich einen Blick in eine meiner Danksagungen empfehlen. Da stehen alle Namen derer, ohne die mein Erfolg nicht denkbar wäre, insbesondere die meiner Lektorinnen Carolin Graehl und Regine Weisbrod. Lehrgänge und Workshops habe ich nie besucht.

Lieber Sebastian, ich danke Dir für die Zeit die Du Dir für dieses Interview genommen hast. Es hat mir viel Spaß gemacht und war eines meiner persönlichen Highlights 2016-2017, dass wir eine ganze zeitlang immer wieder in Kontakt standen.

Ich hoffe, alle angehenden und aktiven Autoren können aus meiner „Augenschelm fragt:“-Reihe etwas mitnehmen. Mein Dank gilt allen, die teilgenommen haben. Wir alle wissen, wie rar gesät die Zeit ist und auch wenn ihr nur die erfolgreichen Anfragen sehr, gingen sehr viele unter oder wurden nicht beantwortet.

Allerdings käme es mir nicht in den Sinn, daraus irgendeinem Autor einen Vorwurf zu machen, schließlich bringen Bücher das Essen auf den Tisch und keine Interviews. Deshalb noch einmal meinen ausdrücklichen Dank an:

Elyseo da Silva, Marcus Johanus, Nike Leonhardt, Markus Heitz, Michaela Stadelmann, Axel Hollmann, Tanja Hanika, Zoë Beck, Mareike Albracht, Sonea von Delvon, Alessandra Reß, Nina C. Hasse, Benjamin Spang, Anja Kiel und Sebastian Fitzek.

Talent ist nur große Geduld.

~ Anatole France ~

Ganz leer läßt der liebe Gott keinen ausgehn; die Eltern und Erzieher müssen nur ausfindig machen, wo die Spezialbegabungen liegen.

~ Theodor Fontane ~

Es gibt schlechte Eigenschaften, welche große Talente machen.

~ François VI. Duc de La Rochefoucauld  ~

Das Beste findet sich dort, wo sich Fleiß mit Begabung verbindet.

~ Johannes Keppler ~

 


Daniel Tammet wirkt schüchtern mit seiner Nerdbrille und seinem zu groß wirkenden Mund. Er malt mit seiner Hand unsichtbare Zahlen auf den Tisch und murmelt leise. Dann gibt er seine Antwort und schiebt das verschmitzte Lächeln eines kleinen Jungen hinterher. So beginnt der Film „Brainman“. Tammet sollte die Zahl 37 mit sich selbst multiplizieren und zwar vier mal. Im Kopf.

Tammet ist Autist, ein sogenannter „Savant“. Seit einem Schlaganfall schweren epileptischen Anfall im zarten Alter von drei entwickelte der Junge

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außergewöhnliche Fähigkeiten. Er hat für den Film eine Sprache gelernt, mit der er zuvor nie Kontakt hatte. Isländisch. Zeitrahmen: Eine Woche. Danach konnte er ein Interview im isländischen TV gegeben. In der Landessprache, wohlbemerkt.

Er spricht elf Sprachen und hat eine eigene (Mänti) erfunden. Er hat über Stunden 22.514 Nachkommastellen von PI referiert und damit einen neuen Europarekord aufgestellt.

Tammet gehört zu den wenigen Autisten, die über Ihre Fähigkeiten sprechen können. Wie merkt er sich das alles? Für den Normalsterblichen sind seine Ratschläge wenig hilfreich, denn Tammet ist Synästhet – Zahlen, Wörter, das alles hat für ihn eine Farbe oder Form.

Ohne Zweifel verfügt er über eine außergewöhnliche Begabung, ein schier unglaubliches Talent. Er hat Fähigkeiten, an die Normalsterbliche nicht heranreichen können.

Sie kamen über ihn, mit dem Schlaganfall epileptischen Anfall als Kind. Was ihm auf der einen Seite etwas nahm, verlieh ihm auf der anderen Seite jenen göttlichen Funken, den wir als Talent, Genie oder Hochbegabung verstehen.

Josuha Foer ist Wirtschaftsjournalist. Er gewann 2005 den US Championschip beim“Speed Card“-Wettbewerb, in dem er sich 52 Karten in 1 Minuten und 40 Sekunden merkte. Mit Hilfe sogenannter Mnemotechniken. Dabei behauptet Foer von sich selbst, eher vergesslich zu sein.

Er ist Journalist, aufgewachsen in einer Literatenfamilie als Bruder von Jonathan Safran Foer, den Du vielleicht durch das Buch und den Film „extrem Laut und unglaublich nah …“ kennst.

Foer kritisierte Tammet wegen Ungereimtheiten in seiner Vita. So behauptet Tammet, er könne sich wegen seines Autismus keine Namen merken. Im Jahr 2000 jedoch nahm er unter seinem bürgerlichen Namen „Daniel Corney“ an der Weltmeisterschaft im Gedächtnissport teil – und gewann in der Kategorie „Namen und Gesichter merken“.
Auf seiner Website schrieb Tammet damals, dass er diesen Sieg dem Einsatz von Mnemotechniken zu verdanken hatte – und löschte diese Beiträge später, als er begann sein Savant-Syndrom nach außen darzustellen. Die Inhalte konnte allerdings mit Hilfe von Webarchiven wiederhergestellt werden.

Ist Tammet möglicherweise gar kein Savant? Oder ist er Savant, hat seine unglaubliche Gedächtnisleistung aber dennoch antrainiert? Ich mag das kaum glauben, aber der Disput dieser beiden ist sinnbildlich für das Forschungsfeld der Talente.

Der zwischen ihnen ausgetragene Streit, ob eine Fähigkeit angeboten oder erlernt wurde, teilt die Wissenschaft seit vielen Jahrzehnten.

Aber nicht nur die Wissenschaft. Er teilt auch das Autorenlager.

Ohne Talent kein Buch

Einen Roman zu schreiben ist harte Arbeit. Das wissen wir alle. Wir brauchen Einfälle, Kreativität, Fleiß und wir müssen all unsere Ideen auch so auf Papier bringen, dass sie jemand lesen möchte.

In einem Forum las ich: „Entweder ich habe das Talent, dem Leser Dinge vor dem inneren Auge zu erzeugen, oder nicht. Dann sollte ich aber keine Bücher schreiben.“

Dieser Meinung sind auch 58% meiner Twitterfollower, die zum Großteil aus Autoren bestehen. Nur 37% sind der Meinung, dass Talent durch Übung ersetzbar ist. Überschaubare 5% sind der Meinung, Talent spiele gar keine Rolle

Es scheint kein Weg daran vorbei zu führen: Wenn Du kein Talent hast, wirst Du keinen Roman schreiben. Zumindest keinen, den irgendjemand lesen will.

Wie siehst Du das? Bist Du auch der Meinung, dass Talent Voraussetzung ist?

Das Problem mit dem Talent

Copyright: Deathtothestockphoto.com

Unter meiner Umfrage gab es zahlreiche Wortmeldungen. Viele ergänzten meine Umfrage um den Punkt: „Talent ist nötig, aber ohne Lernen nutzlos.“ Ich habe das nicht ergänzt, da es für eine Twitterumfrage zu lang war. Auf diesen Punkt komme ich später noch.

Was niemand fragte – und das wunderte mich, denn es war die erste Frage, die mir selbst in den Sinn kam – war, was Talent eigentlich bedeutet. Was ich darunter verstünde.

Ein Fußballprofi braucht andere Talente als ein Schachspieler, ein Musiker andere als ein Autor. Ja selbst ein Torwart braucht andere Talente als ein Feldspieler, ein Lehrer andere als ein Verkäufer.

Was ist denn „das Talent“, das man benötigt, um Autor zu sein? Sprachfertigkeiten? Welche davon genau? Ist es wichtig, dass ich möglichst viele Wörter kenne? Ist Imagination vielleicht wichtiger? Hängt das womöglich sogar von dem Genre ab, in dem ich schreibe?

Wie stellt man denn fest, ob jemand Talent besitzt? Am Wordcount? In der Anzahl der Rechtschreibfehler pro Seite? Anzahl der Adjektive? Verkaufte Bücher? Eine Geschichte ohne Logikfehler?

Was in Deinem Kopf ein tolles Bild auslöst, kann an mir spurlos vorbei gehen, folglich würden wir beiden womöglich das Talent ein und desselben Schriftstellers völlig unterschiedlich einschätzen.

Wer entscheidet über Talent?

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, wer Dein Talent einschätzt.

Wenn Du Dein laienhaftes Umfeld fragst, ob Du Talent fürs Schreiben hast, werden Dir 80% antworten, dass Du talentiert bist. Fragst Du dagegen Andreas Eschbach oder, Gott hab ihn selig, Marcel Reich-Ranicki, wäre die Einschätzung womöglich anders ausgefallen. Fatal anders.

Es kommt darauf an, wer das Talent misst und wie er es misst. Gibt es eine objektivierbare Antwort darauf? Gibt es einen Talentmesser? Im Zweifel kann nur eine Person, die selbst fähig ist, über andere urteilen. Aber das ist ein Zirkelbezug: Wann ist denn jemand fähig?

Ein Großteil der Autoren meint, Talent sei nötig für das Schreiben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alle diese Autoren der Meinung sind, sie selbst besäßen Talent. Andernfalls würden sie es ihrer eigenen Angabe nach keine oder nur schlechte Bücher fabrizieren.

80% der Autofahrer meinen übrigens, sie fahren besser Auto als der Durchschnitt.

Ich freue mich über das gesunde Selbstvertrauen in meiner Zunft. Die Fähigkeit an sich zu glauben, ist in jedem Fall ein Erfolgsfaktor, also bleibt dabei.

Es gibt aber noch ein weiteres Problem wenn Du herausfinden möchtest, wer Talent besitzt.

Ob jemand ein Talent ist oder nicht, lässt sich nur im Nachhinein herausfinden.

Wenn Du Talent hast, wird sich der Erfolg zeigen und wenn du Erfolg hast, dann bist Du talentiert.
Man kann auch sagen: Wenn Du ein Buch geschrieben hast, dann hast du das Zeug zum Autor, weil du ein Buch geschrieben hast.

Das ist tautologisch und hilft Dir nicht dabei, die Frage zu beantworten, ob Du Talent benötigst um ein Buch zu schreiben. Aber es ist exakt der Grund dafür, wieso die meisten Autoren auch der Meinung sind, sie hätten Talent.
Unter Autoren wird Verkaufserfolg sehr häufig nicht mit Talent gleichgesetzt. Teilweise werden kommerziell erfolgreiche Werke und das Talent des Autors eher diametral entgegengesetzt eingeschätzt. Der Trend, das Gespür war lediglich das richtige.

Ich könnte jetzt ketzerisch fragen: Ist das nicht auch ein Talent?

Was also ist Talent?

Von der Etymologie ist Talent erstmal eine Maßeinheit. In der Bibel ist ein Talent eine Menge an Silbermünzen. Also etwas sehr zählbares. Erst im 16. Jahrhundert kam in England der Begriff im Zusammenhang mit Fähigkeiten auf.
Es ist nicht leicht, Talent von Begabung abzugrenzen. Der Forscher Albert Ziegler tat das, indem er ein Talent als jemanden bezeichnete, der „möglicherweise Leistungsexzellenz erzielt“, wohingegen ein Hochbegabter „wahrscheinlich Leistungsexzellenz erzielt“.

Was klar und eindeutig in der Forschung voneinander abgegrenzt wird sind Talente (oder Begabungen) und Leistung. Talentierte Menschen, die Leistungsexzellenz erzielen, werden Experten genannt.

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Der Begabungsforscher William Stern sagte 1916: „Begabungen sind immer Möglichkeiten zur Leistung, unumgängliche Vorbedingungen, sie bedeuten jedoch nicht Leistung selbst.“

Damit hat er eine bis heute gültige Beschreibung dafür geliefert, dass es zwar hilft Talent zu haben, man aber trotzdem am Ende Taxifahrer statt Physiker werden kann (ohne einem Taxifahrer auf die Füße treten zu wollen).
Es sagt aber wenig darüber, was Talent eigentlich ist.

Lange Zeit verortete man Talente in den sogenannten „intellektuellen Begabungen“, also sprachlich, räumlich oder logisch-mathematisch.

Der Wissenschaftler Howard Gardner prägte die Theorie der „multiplen Intelligenzen“, indem er den Begabungsbegriff um weitere Intelligenzen erweiterte, so beispielsweise um emotionale, interpersonale (wie gut kann ich mich in jemanden hineinversetzen), soziale oder köperlich-kinästhetische (Bewegung) Begabung.

Christian Fischer, Begabungsforscher an der Uni Münster, fasst das wohlwollend für uns alle zusammen: „Völlig untalentiert ist niemand.“

Er hat daraus ein Modell entwickelt, das neben dem vorhandenen Potential noch Persönlichkeitsfaktoren (Leistungsmotivation, Selbstregulierung) und Umweltfaktoren (Leistungstraining, Lehrcoching, Familie und Umfeld) ergänzt. Talent, also Anlagen, plus Persönlichkeitsfaktoren plus Umweltfaktoren ergeben Leistungsexzellenz.

Wissen wir jetzt, was ein Talent ist?

Wie misst man Talent?

Es gibt zwei Möglichkeiten. „Klassische“ Intelligenzen werden über einen IQ-Test ermittelt, Untertests ermittelt dann, ob es räumliche oder numerische Hochbegabungen gibt.

Im künstlerischen Bereich ist es schwieriger. Hier werden in der Regel Diagnosen in Wettbewerben oder Audits gestellt. Beispiel hierfür ist das Vorsprechen bei Schauspielern. Nicht selten werden diese Wettbewerbe mit bestimmten Förderungen verbunden, um Anreize zu schaffen, denn: Wer nicht hingeht, geht nicht hin. Es ist schon jetzt völlig klar, dass es viel weniger inneren Schweinehund braucht, sich zwei Stunden in einen großen Raum zu setzen und einen IQ-Test auszufüllen, als vor einer Jury vorzusprechen.

Jetzt stelle man sich einen Schauspieler vor, der alle Fähigkeiten besitzt. Aber er oder sie ist so schüchtern, dass sie sich nicht traut vorzusprechen. Abgesehen davon, dass das für den Beruf des Schauspielers schwierig ist, wenn man nicht vorspricht, würde diese Person niemals als Talent gesichtet werden. Das alleine zeigt schon, wie unterschiedlich die Begabungen sein müssen, die jemand mitbringt.

Für die Kunst gilt: Talent wird nicht gemessen, sondern eingeschätzt. Von anderen, von Lehrern und Ausbildern. In dem unten angehängten Interview sagt Titus Georgi, Schauspieler und Professor, dass es sich um eine höchst subjektive Bewertung handelt, die dadurch abgemildert wird, dass man mehrere Personen in eine Jury setzt. Ein Indikator: „Die Präsenz auf der Bühne.“ Man merkt in dem Interview, wie schwer es ihm fällt, das greifbar zu machen. Ja, was heißt denn „Präsenz auf der Bühne“… Naja, Talent halt.

Aber gibt es noch andere Möglichkeiten?

Ja. Im Sport nutzt man die Möglichkeiten der Technik.

Talent und Gene

Im Sportbereich wurden inzwischen etwa 200 Genvarianten identifiziert, die Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit haben könnten. Eindeutig nachgewiesen wurden zwei: ACTN3 und ACE.

Es deutet einiges darauf hin, dass es in vielen Sportarten hilfreich ist, die richtigen genetische Vorbedingungen mitzubringen. So lässt sich zum Beispiel die Muskulatur, die für Schnelligkeit zuständig ist, fast nicht trainieren. Jockeys oder Basketballer brauchen zum Beispiel eine bestimmte Körpergröße.

Aber es geht auch weniger offensichtlich.

Die Volksgruppe der Kalenjin besteht aus etwa 3,5 Millionen Menschen weltweit. Aber sie haben seit 1980 ungefähr 40% aller wichtigen Langstreckenrennen gewonnen. Bis 2016 haben es 17 Amerikaner (von 322 Millionen) geschafft, einen Marathon unter 2:10 Stunden zu laufen. Allein im Oktober 2011 haben 32 Kalenjin diesen Rekord geschlagen.
Es ist ziemlich deutlich, dass diese Volksgruppe eine besondere genetische Veranlagung für den Langlauf besitzt.

Dem entgegengesetzt sei eine Studie des Spaniers Alejandro Lucia von der Universität in Madrid. Er hat 7 Gene von 46 spanischen Athleten betrachtet, die Weltklasseleistungen im Bereich Laufen oder Radfahren erzielten. Die Gene waren unter anderem verantwortlich für einen verbesserten Stoffwechsel und größere Energie-Effizienz in der Muskulatur. Die Theorie: Sollte es nicht wahrscheinlich sein, dass unter Spitzensportlern ein Großteil auf annähernd 100% dieser Genkomponenten kommen muss?

Die besten 20 der 46 Sportler kamen auf einen Anteil von 75% der „optimalen Gene“, der Rest lag darunter. 100% erreichte niemand.

Auf 75% dieses Genprofil kommen aber etwa auch 5,3 Millionen andere, durchschnittliche Spanier, so

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dass Lucia sich zu der Aussage hinreißen ließ: „Ein gesunder, durchschnittlicher Spanier ist nicht durch sein Genprofil begrenzt, bei der Tour de France aufs Podium zu fahren.“

Dazu passt, dass es immer wieder Hochleister gibt, die von sich selbst behaupten, kein Talent zu besitzen. Albert Einstein (ich bin nur sehr neugierig), Jürgen Kohler (Fußball Welt- und Europameister, Champions League Sieger, Deutscher Meister) oder auch Ed Sheeran, der mit jedem neuen Album von Rekord zu Rekord eilt, behauptet, sein Talent betrage „höchstens 30%“.

Doch wie ist das bei Kopfarbeitern? Welche Rolle spielen die Gene hier?

Der IQ gilt gemeinhin bis zu 70% genetisch determiniert.

Aber der Sozialpsychologe James Flynn hat IQ-Test der vergangenen Jahre ausgewertet und ist dabei auf eine

Auffälligkeit gestoßen: Der IQ ist über die Zeit von 100 Jahren im Mittel von 100 auf 130 angewachsen. Die Menschen werden klüger, besagt der „Flynn-Effekt“. Gründe für das Wachstum: Lernstrategien, Wettbewerb, gesundes Essen; Medizin und eine Vielzahl anderer Faktoren.

So gab es mal einen messbaren IQ Unterschied zwischen Männern und Frauen – dieser ist heute in Industrienationen obsolet. Man kann IQ trainieren. Allerdings gibt es ein Plateau – das Skandinavien schon seit einigen Jahren erreicht hat.

Was, wenn nicht die Gene?

Der Schwede Karl Anders Ericsson hat sich in einer heute allgemein anerkannten Studie mit Genies und ihren Lebenswegen beschäftigt. Seine Forschungen führten zu dem Ergebnis, dass jedem noch so Hochbegabten eine Lehrzeit von etwa 10.000 Stunden voraus ging. Das sind etwa 10 Jahre. Erst nach zehn Jahren harter und intensiver Arbeit, wurden herausragende Werke geschaffen – das gilt auch für Mozart, der einfach sehr früh begonnen hat. Ericsson ist der Wegbereiter des „Nuture“-Lagers, also der Idee, dass Genie antrainiert werden kann.

Und er hat gewichtige Argumente.

Genie ist erlernbar, wenn bestimmte Rahmenbedingungen eingehalten werden. Das Stichwort: Deliberate Practice, also die hochkonzentrierte Arbeit außerhalb der Komfortzone.

Ericsson hat eine breite Anhängerschaft und es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass seine Theorie richtig ist.

In Asien wächst eine riesige Anzahl von hochbegabten Spitzenmusikern heran. Dort wird geübt, was das Zeug hält, von Kindesbeinen an. Und viele von Ihnen schaffen es, Exzellenz in ihrem Bereich zu erlangen.

Eines der eingängigsten Beispiele für Ericssons Theorie aber ist der Pädagoge Láslzló Polgár. Polgár hat, von den Werken des Amerikaners John B. Watson inspiriert, ein unglaubliches Langzeitexperiment an seinen eigenen Töchtern durchgeführt. Er war der festen Überzeugung, dass Talent erlernbar sei und hat seinen drei Töchtern das Schachspiel beigebracht, von Kindesbeinen an mit harten, langen Trainings. Er hat sie von der Schule abgemeldet und Zuhause unterrichtet.

Sein Ziel: Seine Töchter zu weltklasse Schachpielerinnen machen.

Alle drei Polgár Schwestern sind heute Schach-Großmeisterinnen und zählen zu den spielstärksten Frauen weltweit.

Vielleicht kann man auch Britney Spears, Michael Jackson oder Justin Timberlake dazu zählen, die seit Kindesbeinen an von ihren Eltern zu Musikern „erzogen“ wurden. Auch von den Venus-Schwestern im Tennis ist bekannt, dass sie gezielt von Ihren Eltern gefördert wurden. Es sei dahingestellt, wie gut es den Kindern letztlich getan hat, aber in dem trainierten Bereich erreichten sie zweifelsfrei eine Exzellenz und Bekanntheit.

Dr. Ingmar Ahl von der Karg-Stiftung für begabte Kinder fasst es so zusammen: „Die Vorstellung, dass ein Genie vom Himmel fällt, ist absoluter Kitsch. Andererseits wissen wir aus der Expertiseforschung sehr genau, dass Übung alleine nicht reicht. Somit sind wir sozusagen auf das verwiesen, was dazwischen liegt.“

Gemeint sind die Persönlichkeitsmerkmale und Umfeldbedingungen. Fairerweise sagt er selbst: „Wir sind uns alle nicht einig, was Begabung eigentlich ist. Wir wissen auch alle nicht, was ein Talent ist.“

Dieser Blogbeitrag fing mit einer harmlosen Idee an und entwickelte sich zu einem 8 Wochen langen Recherchemarathon. Am besten lässt er sich wohl mit den Worten eines weiteren Genies zusammenfassen:

„Da steh´ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“

Brauchst Du nun Talent als Autor?

Wie viel Talent hat J.K. Rowling. Was genau sind ihre Talente? Was sind die Talente von J.R.R. Tolkien, William Somerset Maugham, George R.R. Martin, Charles Dickens, Jo Nesbo?

Ich bezweifle nicht, dass es sich bei ihnen allen um Hochbegabte oder zumindest stark talentierte Menschen handelt, deren am meisten ausgebildeten Talente aber wahrscheinlich in völlig unterschiedlichen Bereichen liegen.

Jo Nesbo beispielsweise war als Finanzanalyst erfolgreich. Er wäre beinahe Profifußballer geworden, hat mit seiner Band mehrere Top10 Platzierungen in den norwegischen Charts und als Autor Millionen Bücher verkauft. Den meisten fällt es schwer, in nur einem Bereich erfolgreich zu sein – es deutet schon darauf hin, dass er eine gewisse Begabung für das hat, was er tut. Oder er hat die richtigen Lerntechniken bzw. das richtige Umfeld. Seine Mutter ist Bibliothekarin.

J.K. Rowling war alleinerziehende Mutter und Sozialhilfeempfängerin, als sie an ihrem ersten Harry Potter schrieb. Welche Fähigkeiten waren da wichtig, um nicht aufzugeben? Ist es entscheidender gewesen, sich gut organisieren zu können, niemals aufzugeben oder war es ihre Fähigkeit, schöne Sätze zu schreiben?

William Somerset Maugham war früh Waise und stotterte als Kind. Sein frommer Onkel steckte ihn von einem Internat in das nächste. Was hat ihn wohl dazu gebracht, beim Schreiben zu bleiben?

Welche Faktoren nun jeden der oben genannten zu einem außergewöhnlichen Autoren gemacht haben, lässt sich nicht sagen. Wir beobachten wieder einmal nur rückwirkend und was wir sehen ist das Ergebnis, nicht aber die Faktoren, die zum Ergebnis geführten haben.

Was also hat Talent für Dich konkret für eine Bedeutung?

Marie von Ebner-Eschenbach sagte dazu: „Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun“.

Es ist schwer bis unmöglich vorherzusagen, welche Eigenschaften zum Erfolg führen. Es lässt sich aber relativ klar sagen, dass intensives Üben dich besser macht. Schaffst Du es, 10 Jahre lang täglich drei Stunden außerhalb Deiner Komfortzone zu lernen, kannst Du zu einem echten Großmeister werden. Darauf deutet alles hin.

Ericsson meint, dass das Lernen das einzig Entscheidende sei. Oft wird kritisiert, dass man ein Kind eben nicht zu etwas zwingen kann, dass es nicht will und von daher kann das Kind in einem erzwungenen Bereich auch keine Expertise entwickeln. Es kann eben nicht jeder alles lernen und ein Genie werden.

Aber wir beschäftigen uns alle freiwillig mit dem Schreiben. Wir machen das, weil irgendetwas bereits in uns ist. Von Kindesbeinen an haben wir Stunden mit Lesen verbracht, der Grundlage fürs Schreiben. Wir haben Fantasie entwickelt, als wir uns in die Geschichten eingelebt haben, haben spielerisch mit Worten gespielt, Filme gesehen und uns in die Welten geträumt.

Selbst jene wie ich, die erst mit über dreißig auf die Idee kommen, ein Buch zu schreiben, haben diese Grundsteine bereits gelegt. Jo Nesbo hat erst mit 37 seinen ersten Roman veröffentlicht.

Vergeude Deine Zeit nicht damit, dich zu fragen ob du Talent hast oder nicht.

Ich sage es kurz: Dein Talent spielt keine Rolle. Wenn Du jetzt hier stehst, Autor bist oder es werden willst, dann hast du den Grundstein bereits gelegt. Dann ist in Dir irgendwas, das raus will.

Talent spielt keine Rolle, weil Du nicht weißt, welches Talent Du für Deine Lebenssituation genau benötigst. Es spielt keine Rolle, weil Du es vielleicht schon besitzt und es lediglich nicht weißt. Talent heißt nicht: Schön schreiben können. Das kann man lernen. Als wir geboren wurden, konnte keiner von uns schreiben.

Wenn Du gerne schreibst und bereit bist, viel Zeit, Geduld und Übung zu investieren, kannst Du ein guter Autor werden.

Nutze das.

Und dann heisst die Devise: Üben, üben, üben. Lerne, hole Dir Feedback. Tausche Dich aus. Notiere Dir Fehler, guck was Du falsch gemacht hast, mach es besser. Schau auf gute Autoren, versuche zu verstehen, was sie getan haben in ihren Büchern. Und dann fang von vorne an. Lies Ratgeber, mach Kurse mit. Finde alles scheiße was dort gelehrt wird und finde deinen eigenen Weg.

Womöglich hilft es auch, Dein erstes Buch nicht zu veröffentlichen. An Scheitern wächst man – gibt Dein Werk an Agenten und Verlage und hole Dir Körbe ab. Wachse daran und mache weiter.

Aber verdammt nochmal: Mach weiter.

Niemand kann sagen, was ein wirklich guter Autor ist. Niemand weiß, welcher der veröffentlichten und erfolgreichen Autoren talentiert ist oder wer einfach viel gelernt hat. Es sind auch nicht alle gleich gut, aber viele sind gut genug um tolle Literatur zu schreiben. Es muss ja auch nicht jeder Cristiano Ronaldo sein. Vielleicht reicht auch Hans Sarpei. Dann kannst du trotzdem vom Schreiben leben und hast eine große Anhängerschaft.

Und dann am Ende, in ein paar Jahren, wenn Du vom Schreiben lebst und die Leute Dich gerne lesen, dann sagen vielleicht einige von ihnen: Du bist ein talentierter Autor. Denn Du hast gute Bücher geschrieben.

 


Danke, dass Du dran geblieben bist. Alle meine Quellen hängen diesem Artikel an. Hörenswert ist dieser Podcast der Volkswagen Stiftung. Für alle, die Lust haben etwas tiefer in die Materie einzutauchen:

Quellen:

https://www.chesspoint.ch/blog/schachgeschichte/das-polgar-experiment

https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article142696789/Warum-der-IQ-der-Menschen-steigt-und-steigt.html

https://www.aponet.de/aktuelles/kurioses/20150413-schulmuffel-lernunlust-ist-zum-teil-vererbt.html

http://www.stangl-taller.at/TESTEXPERIMENT/testintelligenzhochbegabt.html

https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/HBF/terman.pdf

https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/HBF/mindmag79-tgb.pdf

https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/HBF/mindmag74-tgb.pdf

https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/HBF/mindmag75-tgb.pdf

https://www.uni-due.de/imperia/md/content/dia/mindmag101-tgb.pdf

http://www.deutschlandfunkkultur.de/das-erlernbare-talent.950.de.html?dram:article_id=137876

http://www.zeit.de/2015/44/talent-uebung-musik-lernen-forschung/seite-2

http://www.spektrum.de/news/wenn-krankheit-kreativ-macht/1221371

http://jmg.bmj.com/content/45/7/451.full

http://www.tagesspiegel.de/wissen/ursachen-von-dyslexie-und-dyskalkulie-lesen-rechnen-und-die-gene/10176936.html

http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/startseite/636576/artikel_kohler-wird-50_ich-brauche-die-bundesliga-nicht.html

http://www.businessinsider.de/anders-ericsson-how-to-become-an-expert-at-anything-2016-6?r=US&IR=T

http://www.zeit.de/2016/35/sportliches-talent-sport-training-olympia-psyche-erfolg-gene/seite-2

http://www.focus.de/wissen/mensch/psychologie/tid-14115/psychologie-alles-nur-uebung_aid_387226.html

http://www.wiwo.de/erfolg/management/gastbeitrag-was-ist-talent-und-wie-kann-man-es-foerdern/8699514.html

Hallo liebe Leser,

der folgende Artikel ist ein Gastkommentar von Ron Kellermann und auf Auftakt meiner Zusammenarbeit mit dem Dramaturgieblog filmschreiben.de.

Ich bin dankbar für diese Möglichkeit. Der tiefe Fundus an Wissen, den dieses Blog bereithält ist lesenswert für jeden, der sich mit dem Schreiben beschäftigt, ganz gleich ob es sich dabei um Drehbuch- oder Prosaautoren handelt.

Der Originalartikel erschien am 08. Januar 2017 auf filmschreiben.de

Studium der Philosophie, Germanistik, Medien- und Kommunikationswissenschaften; seit 2001 in der Drehbuchentwicklung (u.a. als Dramaturg und Lektor bei Wüste Film, Hamburg); seit 2004 freiberuflicher Filmdramaturg und Drehbuchdozent; annähernd 300 Dramaturgie-Seminare und Stoffentwicklungs-Workshops; ca. 250 dramaturgische Beratungen von Autorinnen und Autoren; seit 2013 als Senior Consultant Storytelling im Experten-Netzwerk von die firma . experience design, Wiesbaden; Autor des Buches Fiktionales Schreiben – Geschichten erfinden, Schreiben verbessern, Kreativität steigern, Emons Verlag, Köln; sein Buch Das Storytelling-Handbuch: Inhalte professionell entwickeln erscheint im Frühjahr 2017 beim Midas Verlag, Zürich


Eine der Hauptschwierigkeiten beim Entwickeln und Erzählen einer Geschichte besteht darin, aus der riesigen Fülle von Ideen und den Möglichkeiten an Figuren, Konflikten, Handlungen, Themen, Ereignissen, Szenen und Dialogen die „richtigen“ auszuwählen und die „falschen“ wegzulassen. Die Kriterien, an denen sich Autorinnen und Autoren orientieren können, um diese Entscheidungen zu treffen, lassen sich mit dem Begriff Erzählökonomie bezeichnen: Welche dramatischen Elemente braucht eine Geschichte, um erzählt und als bedeutsames Ganzes verstanden zu werden? Und welche nicht?

WELCHE DRAMATISCHEN ELEMENTE BRAUCHT EINE GESCHICHTE, UM ERZÄHLT UND ALS BEDEUTSAMES GANZES VERSTANDEN ZU WERDEN? UND WELCHE NICHT?

Erzählökonomisches Arbeiten unterstützt Autorinnen und Autoren dabei, Klarheit über das zu gewinnen, was sie erzählen wollen, ihre Geschichten effizienter zu entwickeln und sich auf das erzählerisch Notwendige zu fokussieren. Dadurch vermeiden sie, ins Blaue abzudriften und Zeit zu verschwenden, den Erzählfaden zu verlieren und unnötig herumzueiern, die Geschichte irgendwann entsorgen zu müssen oder ein oberflächliches, nichtssagendes Heititeiti zu erzählen, das niemanden interessiert.

Filmisches Erzählen ist in genau diesem Sinne ökonomisch – Ausnahmen bestätigen natürlich das Gegenteil –, da Aus- und Abschweifungen hier schnell dazu führen, dass das Publikum nicht mehr folgen kann, weil es die Geschichte nicht versteht oder schlimmer noch: langweilig findet. Das hat mit den spezifisch filmischen Rezeptionsgewohnheiten und -bedingungen zu tun. Schauen funktioniert anders als Lesen. Man nimmt eine andere Haltung ein. Dennoch ist Erzählökonomie auch für Prosa-AutorInnen ein relevantes Thema.

Ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry drückt sehr schön aus, was Erzählökonomie meint: Perfektion entsteht nicht, wenn nichts mehr hinzuzufügen ist, sondern wenn man nichts mehr entfernen kann.

Dramatische Relevanz
Dieses Zitat ist gewissermaßen das Mantra der Erzählökonomie, deren übergeordnetes Kriterium die sogenannte „dramatische Relevanz“ ist: Welche Elemente sind dramatisch relevant, müssen also erzählt werden, damit die Geschichte Sinn ergibt und verständlich wird? Es gibt einen einfachen Test, um die dramatische Relevanz eines Elements zu ermitteln: Man lässt dieses Element einfach weg und betrachtet die Auswirkungen: Wie verändert sich die Geschichte, wenn ich dieses Element nicht erzähle? Bricht sie zusammen und wird unverständlich, ist das Element dramatisch hochrelevant. Verändert sie sich nicht, ist es dramatisch irrelevant und kann weggelassen werden – egal wie interessant und/oder originell es ist. Denn nicht alles, was interessant und originell ist, muss auch relevant sein. Und dramatische Relevanz sollte immer über der Verliebtheit in die eigenen Ideen stehen:

In writing, you must kill your darlings, soll William Faulkner gesagt haben.

NICHT ALLES, WAS INTERESSANT ODER ORIGINELL IST, MUSS AUCH DRAMATISCH RELEVANT SEIN.

Um über dramatische Relevanz entscheiden zu können, braucht es Kriterien: Nach welchen Kriterien lässt sich entscheiden, welche dramatischen Elemente gebraucht werden, um eine Geschichte zu entwickeln und zu erzählen und welche nicht? Die Spielfilmdramaturgie liefert diese Kriterien für alle drei Dimensionen einer guten Geschichte: der charakterzentrierten Dimension, der konfliktbasierten und der werteorientierten.

Einige der zentralen Werkzeuge und Kriterien werde ich nun vorstellen:

Dramatisches Ziel und dramatische Frage
Wesentliche Voraussetzung für eine aktive Hauptfigur und einen interessanten Konflikt ist das dramatische Ziel der Hauptfigur: Sie will etwas, etwas in der äußeren Welt. Das dramatische Ziel ist ein „äußeres Wollen“. Es ist immer konkret in dem Sinne, dass am Ende der Geschichte eine Situation eintritt, in der eindeutig entschieden wird, ob die Hauptfigur ihr Ziel erreicht oder nicht. Glück kann also nicht das Ziel einer Hauptfigur sein, weil es zu abstrakt ist. Publikum und Leserschaft wissen nicht, wann genau dieser Zustand erreicht ist. Das Glück müsste also konkretisiert werden: Wann genau ist die Figur glücklich – oder glaubt, glücklich zu sein?

NUR WER WEISS, WAS DIE HAUPTFIGUR WILL, KANN WISSEN, WIE SIE HANDELT UND WELCHE IHRER HANDLUNGEN DRAMATISCH RELEVANT SIND

Der Kommissar will den Mörder überführen. Die Liebenden wollen zusammen sein. … In dem Spielfilm LITTLE MISS SUNSHINE – der erzählökonomisch betrachtet nahezu ideal entwickelt ist – wollen Olive und ihre Familie rechtzeitig in Kalifornien ankommen, damit Olive an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen kann.

Nur wer weiß, was die Hauptfigur will, kann wissen, wie sie handelt oder welche ihrer Handlungen für das Erzählen der Geschichte relevant sind.

Aus dem dramatischen Ziel ergibt sich die dramatische Frage, die immer die Grundform hat: Wird die Hauptfigur ihr Ziel erreichen? Sie wird am Ende der Geschichte beantwortet: ja, nein, ja aber, nein aber. Ja, die Hauptfigur bekommt alles, was sie will; nein, sie verliert alles; ja, sie bekommt es, aber anders als sie dachte; nein, sie bekommt es nicht, erhält dafür aber etwas viel Wertvolleres, von dem sie zu Beginn noch gar nichts wusste.

Die dramatische Frage erzeugt den grundlegenden Spannungsbogen einer Geschichte. Der Prozess ihrer Beantwortung hält unser Interesse aufrecht und steigert es nach Möglichkeit sogar. Die Antwort auf sie befriedigt unser Interesse.

Wird der Kommissar den Mörder überführen? Werden die Liebenden zusammenkommen? Wird es Olive und ihrer Familie gelingen, rechtzeitig in Kalifornien anzukommen und den Wettbewerb zu gewinnen?

Im Hinblick auf die Erzählökonomie sind nur die Handlungen dramatisch relevant, die die Hauptfigur ausführt, um ihr Ziel zu erreichen und die damit zur Beantwortung der dramatischen Frage beitragen, kurz: Alles, was die Figur tut, tut sie, um ihr Ziel zu erreichen. Ob sie sich in der Konsequenz ihrer Handlungen ihrem Ziel nähert oder sich von ihm entfernt, spielt dabei keine Rolle. Würde Olives Familie plötzlich eine Bank überfallen, dann könnte das zwar spannend sein, es wäre aber nicht dramatisch relevant, weil der Banküberfall nichts mit ihrem Ziel zu tun hat. Anders wäre es, wenn sie Geld bräuchte, um ihren Weg fortzusetzen, beispielsweise für Benzin.

Geht es um die handlungsbasierte Dimension einer Geschichte, ist die Frage „Versucht die Hauptfigur mit dieser Handlung ihr Ziel zu erreichen?“ also ein wichtiges Kriterium für dramatische Relevanz. Dieser Dimension liegt die Frage „Um was geht es?“ zugrunde. In einer guten Geschichte geht es jedoch nicht nur um etwas, vielmehr erzählt sie auch über etwas. Erst dadurch erhält sie Bedeutung:

Die werteorientierte Dimension
Gute Geschichten sind immer auch Wertediskurse. Sie unterstützen uns dabei, Antworten auf zwei existenzielle Fragen zu finden: „Wie soll ich leben?“ und „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“. Die zentralen dramaturgischen Werkzeuge in dieser Dimension einer Geschichte und damit Kriterien für ihre dramatische Relevanz sind: das inhaltliche Thema, das emotionale Thema, die zentrale Frage und die Aussage einer Geschichte.

GUTE GESCHICHTEN SIND IMMER AUCH WERTEDISKURSE.

Inhaltliches Thema
Inhaltliche Themen können sein: aktive Sterbehilfe, die alternde Gesellschaft, illegale Einwanderung, Drogen, Inklusion, Integration, Gewalt, Spionage, Unterdrückung, Überwachung, Selbstjustiz, Patchwork-Familien, der Kalte Krieg und so weiter. Sie können kultur- und gesellschaftsspezifisch sein. Das Thema „alternde Gesellschaft“ beispielsweise wird in Deutschland immer bedeutender, in Ländern mit jungen Bevölkerungen spielt es hingegen keine Rolle.

Aus dem inhaltlichen Thema ergibt sich die Handlungsebene einer Geschichte. Es kann noch so interessant sein – ohne emotionales Thema, das ihm zugrunde liegt, bleibt es leblos.

DAS INHALTLICHE THEMA KANN NOCH SO INTERESSANT SEIN – OHNE EMOTIONALES THEMA BLEIBT ES LEBLOS.

Emotionales Thema
Zu den emotionalen Themen gehören: Liebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Nähe, Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Loyalität, Vertrauen, Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Unversehrtheit, Respekt, Heimat, Identität, Anerkennung und ihre Gegenteile: Hass, Sklaverei, Unsicherheit, Chaos, Fremdbestimmung, Distanz, Einsamkeit, Verrat, Krankheit, Orientierungslosigkeit, Verachtung, Identitätsverlust, Ausgeschlossensein, Ablehnung.

Emotionale Themen sind universell, archetypisch, transhistorisch, transkulturell, funktionieren also unabhängig von Zeit- und (Kultur)raum. Hollywood-Filme sind nicht wegen ihrer Stars oder großen Budgets weltweit erfolgreich, sondern weil sie überall auf der Welt emotional „verstanden“ werden können. Aus dem emotionalen Thema ergibt sich die emotionale oder Beziehungsebene.

Die zentrale Frage
Die zentrale Frage einer Geschichte – nicht zu verwechseln mit der dramatischen Frage – stellt das inhaltliche und das emotionale Thema in Form einer Frage dar, die die Autorin oder der Autor mit der Geschichte beantworten will. Dramatische und zentrale Frage geben einer Geschichte Richtung. Die Antwort auf die zentrale Frage ist die Aussage der Geschichte.

Die Aussage der Geschichte ist das, was dem Publikum mitgeteilt werden soll. Jede Geschichte – sofern sie als sinnvolles Ganzes verstanden wird und alle Fragen, die sie aufwirft, beantwortet – trifft eine Aussage, vertritt also einen bestimmten Standpunkt zu den Themen, über die sie erzählt – ob die Autorin oder der Autor will oder nicht. Denn eine sinnvolle Geschichte ist ein kommunikativer Akt und jedem kommunikativem Akt liegt ein bestimmtes Thema zugrunde, zu dem Stellung bezogen wird.

JEDE GUTE GESCHICHTE VERTRITT EINEN BESTIMMTEN STANDPUNKT ZU DEN THEMEN, ÜBER DIE SIE ERZÄHLT – OB DIE AUTORIN ODER DER AUTOR WILL ODER NICHT.

In LITTLE MISS SUNSHINE geht es auf der Handlungsebene um das inhaltliche Thema Erfolg, um Gewinnen und Verlieren: Die Familie fährt nach Kalifornien, damit Olive den Wettbewerb gewinnt. Ihre Handlungen sind auf dieses Ziel ausgerichtet. Die Beziehungsebene erzählt von den emotionalen Themen Gemeinschaft, Familie, Zugehörigkeit: Zu Beginn der Geschichte ist die Familie kaputt. Nur Olive versteht sich mit allen gut, die anderen wollen nichts mehr miteinander zu tun haben, belügen sich, feinden sich an. Am Ende funktioniert die Familie wieder, ihre Mitglieder halten zusammen und stehen füreinander ein.

Die zentralen Fragen lauten „Was ist ein Gewinner?“ (inhaltliche Ebene), „Was macht eine gute Familie aus?“ (emotionale Ebene) und „Was macht glücklich: Erfolg oder Familie?“ (inhaltliche und emotionale Ebene, aus der sich die Zuspitzung des Wertekonflikts in Form eines Dilemmas ergibt). Die Aussagen des Filmes sind: „Ein Verlierer ist jemand, der so viel Angst vorm Verlieren hat, dass er es noch nicht einmal versucht. Ein Gewinner versucht es, egal ob er erfolgreich und der Beste ist oder nicht“, „Eine Familie funktioniert, wenn ihre Mitglieder zusammenhalten und füreinander einstehen“ und „Familie ist wichtiger als Erfolg“.

Wie hilft mir das alles nun in Sachen dramatische Relevanz? In der werteorientierten Dimension stellt man sich die Frage, ob ein bestimmtes Element die Themen, die zentrale Frage und die Aussage transportiert beziehungsweise spiegelt oder nicht: Transportiert dieses Element das inhaltliche oder das emotionale Thema? Stellt es einen Standpunkt dar? Zeigt es eine andere Perspektive auf? Trägt es zur zentralen Frage und ihrer Beantwortung bei? Lauten die Antworten auf diese Fragen „nein“, kann man auf dieses Element verzichten.

FIGUREN SIND TRÄGER THEMATISCHER STANDPUNKTE.

In der charakterorientierten Dimension helfen diese Werkzeuge (die zwei Themen, die zentrale Frage und die Aussage), die Figuren stimmig und effizient zu entwickeln. Und zwar, indem ihnen bestimmte Standpunkte zugeordnet werden und sie damit thematische Aspekte transportieren: Auf der Beziehungsebene in LITTLE MISS SUNSHINE steht die Mutter für das positive Bild einer funktionierenden Familie („Wir sind eine Familie, und was immer auch geschieht, wir lieben uns, und das ist das allerwichtigste“). Der Sohn steht für die Negation von Familie, indem er mit seinem anfänglichen Schweigegelübde seinen Hauptkanal für Kommunikation verschließt – bis er dann doch irgendwann lauthals zum Ausdruck bringt, was er denkt und fühlt: „Ihr seid nicht meine Familie, ich will überhaupt nicht zu eurer Familie gehören, ich hasse euch: Geschieden, Selbstmord, Bankrott. Ihr seid Verlierer, beschissene Verlierer.“ Womit dieser Dialog nicht nur das emotionale, sondern zugleich das inhaltliche Thema bedient. Das ist gute Dialogarbeit.

Auf der Handlungsebene steht der Vater für das Thema Erfolg: Er hat ein Neun-Stufen-Konzept entwickelt, das garantierten Erfolg verspricht, ist damit jedoch selbst erfolglos. Er denkt an nichts anderes als an Erfolg und er spricht von nichts anderem. Seine Weltsicht ist klar definiert und unterscheidet zwischen „zwei Arten von Menschen: Gewinnern und Verlierern.“ Der Opa und der Onkel stehen für das Thema Verlieren: Der Opa hat in seinem Leben nie etwas auf die Reihe bekommen und fliegt sogar aus dem Pflegeheim. Der Onkel hat seine Liebe, seinen Job, seine Wohnung und seinen sozialen Status verloren und wollte sich deshalb das Leben nehmen.

Dass die Figuren als Familie wieder zusammenwachsen müssen, um glücklich zu werden, ist nicht der Grund, warum sie aufbrechen, warum sie aktiv werden. Aber es ist das, was sie am Ende bekommen: Sie gewinnen sich als Familie wieder, nachdem jeder einzelne zuvor alles verloren hat. Auf diese Weise sind inhaltliches Thema und emotionales Thema, Handlungsebene und Beziehungsebene miteinander verknüpft.

Fehlt Figuren der Bezug zu den Themen, der zentralen Frage und der Aussage einer Geschichte, wirken sie willkürlich und bleiben oberflächlich – egal, wie detailliert ihre Biografie ausgearbeitet ist und ob die Autorinnen und Autoren sogar wissen, welche Zahnpasta ihre Figuren benutzen. Insbesondere hier – in der Figurenentwicklung – sind dramatische Relevanz und Erzählökonomie von großer Bedeutung. Eine Figur zu entwickeln – ihre physiologische, soziologische und psychologische Dimensionen und ihre Biografie – macht zwar Spaß. Es kann aber auch schnell zu einer perfiden Vermeidungsstrategie werden: Man wähnt sich produktiv, tatsächlich vermeidet man jedoch, die Geschichte weiterzuentwickeln. Mit den Kriterien der dramatischen Relevanz können sich Autorinnen und Autoren immer selbst hinterfragen, ob sie gerade produktiv sind oder nur so tun.

FEHLT FIGUREN DER BEZUG ZU DEN THEMEN, DER ZENTRALEN FRAGE UND DER AUSSAGE EINER GESCHICHTE, WIRKEN SIE WILLKÜRLICH UND BLEIBEN OBERFLÄCHLICH.

Inhaltliches Thema, emotionales Thema, zentrale Frage und Aussage sind außerdem wesentliche Elemente der sogenannten Erzählintention. Mit „Erzählintention“ sind folgende Fragen gemeint: Warum will ich dieses Thema bearbeiten, diese Idee entwickeln, diese Geschichte erzählen? Was interessiert mich daran? Welche gesellschaftliche Dimension und Relevanz hat das Thema? Was will ich dem Publikum oder den Lesenden mitteilen? Was sollen sie über das Thema lernen? Woran können sie sich reiben?

Story Molecule: Handlungswelt, Beziehungswelt und Innenwelt
Wie der Charakter einer Figur sich entwickelt ist nachvollziehbar, wenn ihre Entwicklung dynamisch gestaltet ist, sich also Schritt für Schritt vollzieht, und nicht lediglich am Ende behauptet wird. Schritt für Schritt heißt, dass sich Ereignisse in der Außenwelt auf die Innenwelt der Figur auswirken und diese Auswirkungen wiederum rückwirkend die Handlungen der Figur und ihre Beziehungen beeinflussen. Ein hervorragendes Werkzeug, um diese wechselseitige Beeinflussung der drei Welten und Konfliktebenen einer Figur – der äußeren Welt der Handlungen, der emotionalen Welt der Beziehungen und der inneren Welt der Identität – zu gestalten, ist das Story Molecule. Es führt Plot und Figur zu einer dramatischen Einheit zusammen.

GUTE GESCHICHTEN SPIELEN IN DREI WELTEN: DER HANDLUNGSWELT, DER BEZIEHUNGSWELT UND DER INNENWELT.

Visualisiert wird es als drei ineinander liegende Kreise, die jeweils für eine Welt stehen: Der äußere Kreis stellt die äußere Welt dar, der mittlere Kreis die Beziehungswelt und der innere Kreis steht für die innere Welt. Mit dem Story Molecule lassen sich diese drei Welten entwickeln und in Beziehung zueinander setzen. Autorinnen und Autoren können es nutzen, um die Entwicklung ihrer Figur nachvollziehbar und dynamisch zu gestalten. Außerdem können sie mit ihm überprüfen, ob eine Geschichte in allen Welten spielt, eine dieser Welten beispielsweise zu dominant ist oder eine überhaupt nicht erzählt wird, und sie können festlegen, welche Fragen sich in ihnen für das Publikum und die Lesenden stellen: In welchen Welten spielt die Geschichte? Welche Fragen stellen sich in der Außen-, Innen- und Beziehungswelt? Habe ich in einem dieser Bereiche zu viele oder noch keine Fragen? Erzählt meine Geschichte mehr im Äußeren, auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen oder im Inneren der Figur? In welchen Szenen werden diese Fragen thematisiert?

In jeder dieser Welten stellt sich zudem eine richtungsgebende Hauptfrage, die für die dramatische Relevanz von Bedeutung ist. In LITTLE MISS SUNSHINE geht es in der äußeren Welt um die Fragen, ob die Familie rechtzeitig in Kalifornien ankommt und Olive den Wettbewerb gewinnen wird. In der Beziehungswelt lautet die Hauptfrage, ob die Familie wieder zu einer funktionierenden Gemeinschaft wird. In der inneren Welt stellt sich die Frage, ob die Familienmitglieder ihre Abneigungen gegeneinander ablegen, sich wieder vertrauen et cetera. Im Idealfall wirkt sich ein dramatisches Element auf alle drei Welten aus. Denn in gut entwickelten Geschichten wird nicht nur von allen drei Welten erzählt, vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig.

SIND DIE DREI WELTEN STATISCH, GIBT ES IM GRUNDE NICHTS ZU ERZÄHLEN, DANN IST DAS, WAS ERZÄHLT WIRD, LANGWEILIG.

Die dramatische Relevanz kann entsprechend mit folgenden Fragen überprüft werden: Verändert ein Ereignis in der äußeren Welt die Beziehungen der Figur zu anderen Figuren und ihr Innenleben? Wirkt sich eine Veränderung in der Beziehungswelt auf das Innenleben der Figur aus und lässt sie in der äußeren Welt anders handeln? Beeinflusst eine Veränderung in der Innenwelt der Figur ihre Beziehungen zu anderen Figuren und ihr Handeln in der äußeren Welt? Positive Antworten auf diese Fragen verleihen diesen drei Welten Dynamik. Sind sie nicht dynamisch, sondern statisch, gibt es im Grunde nichts zu erzählen, dann ist das, was erzählt wird, langweilig.

Fazit
Erzählökonomie und dramatische Relevanz sind keine Gesetze, denen Autorinnen und Autoren folgen müssen, um am Ende des Tages eine gute Geschichte in Händen zu halten. Sie verbieten nicht, eine Geschichte beliebig auszuschmücken, Anekdoten aus der Vergangenheit einer Figur zu erzählen, Neben- und Umwege zu beschreiten. Allerdings sollte man vorher genau wissen, was die Geschichte tatsächlich braucht, um zu funktionieren und verstanden zu werden.

WENN SICH AUTORINNEN UND AUTOREN NICHT KLAR DARÜBER SIND, WAS SIE EIGENTLICH ERZÄHLEN WOLLEN (UND WARUM), WIE SOLLEN ES DANN DAS PUBLIKUM UND DIE LESERSCHAFT SEIN?

Und hierbei helfen die Kriterien der dramatischen Relevanz. Sie unterstützen Autorinnen und Autoren dabei, eine Geschichte effizient zu entwickeln und fokussiert zu erzählen. Vor allem aber können sie mit ihnen eine größere Klarheit über das gewinnen, was sie erzählen wollen. Und eine solche Klarheit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Geschichte. Denn wenn sich Autorinnen und Autoren nicht klar darüber sind, was sie eigentlich erzählen wollen (und warum), wie sollen es dann das Publikum und die Leserschaft sein?

Dieser Text ist in leicht veränderter Form zuerst in der AutorInnen-Zeitschrift Federwelt Nr. 113, August / September 2015 erschienen.

„Mord am Hellweg“ ist das größte europäische Krimifestival. Auf Twitter findet man wenig darüber, obwohl sich das Line-Up mit Autoren wie Sebastian Fitzek, Jo Nesbo, Jussi Adler-Olsen, Simon Beckett, Joe Bausch oder Chris Carter mehr als sehen lassen kann – und das ist nur eine Handvoll der rund 150 Veranstaltungen.

Mord am Hellweg findet seit 2001 alle zwei Jahre an tollen Orten rund um den Hellweg der Kreisstadt Unna statt und wird u.a. vom Westfälischen Literaturbüro in Unna organisiert.

Ich bin sehr angetan von den vielfältigen Facetten dieses tollen Festivals und möchte es hiermit ganz ausdrücklich allen Lesern meines Blogs ans Herz legen. Mehr über das Festival findest Du auf

http://www.mordamhellweg.de/


Als ich den kleinen Saal betrete ist er bereit gut gefüllt. Nur noch wenige Plätze sind frei, die Veranstaltung bis auf den letzten Platz ausverkauft. Weil ich zwei freie Plätze auf der Loge sehe, unterdrücke ich den Impuls den Mann neben mir vom Stuhl zu schubsen.

Der Platz ist gut. Wir haben einen hervorragenden Blick auf die Bühne, auf der sich nun unter dem Applaus der Krimifans Oliver Mommsen und Margarete von Schwartzkopf zu ihren Stühlen begeben.

Dann kommt Jo Nesbo. Er ist ein durchschnittlich großer, hager wirkender Mann der mich aus der Entfernung an Dr. House erinnert.  Er trägt eine blaue Jeansjacke über einem schwarzen T-Shirt. Das rotblonde Haar steht wild vom Kopf, in seinem Bart wagen sich die ersten grauen Haare ans Tageslicht. Er sieht aus wie jemand, der sich viel bewegt, was sicher nicht ungewöhnlich für einen Mann ist, der um ein Haar Fußballprofi geworden wäre.20161020_194218_hdr_resized

Er lächelt kurz und setzt sich. Seine Bewegungen sind ruhig, als könne ihn selbst ein Sturm nicht aus der Ruhe bringen. Die über dreißigmillionen verkauften Bücher lasten nicht auf seinen Schultern. Margarete von Schwarzkopf stellt Jo Nesbo vor und erklärt, dass er um ein Haar seinen Flug nicht bekommen hätte, weil die griechischen Inseln im Wetterchaos versinken und Nesbo dort Klettern war..

Nesbo ist inzwischen 56. Wie ich kommt er aus der Finanzbranche. Ich lächle, denn mit BWL verbinden die meisten wohl keine Autoren. Vor allem keine, die so gut schreiben wie er. Aber er ist auch Musiker und hat es in Norwegen zu einiger Bekanntheit gebracht.

Wenn Nesbo spricht, klingt es ruhig und überlegt. Wäre er Telefonjoker bei „Wer wird Millionär“ hätte man wohl erst Angst, dass die Antwort nicht rechtzeitig käme um sodann mit einer glasklaren und richtigen Antwort für das nervenzerreißende Warten belohnt zu werden. Ich mag ihn sofort. Oliver Mommsen erlaubt sich ein paar Scherze und an Nesbos Lachen kann ich erahnen, dass hinter der ruhigen Fassade jemand steckt, für den das Sprichwort „stille Wasser sind tief“ erfunden wurde.

Margarete von Schwarzkopf entlockt mir eine innere Bäckerfaust als sie sagt, dass es einen neuen Harry Hole Teil geben wird. Ihre rauchige Stimme erinnert mich an eine Voodoo-Mama und weniger an eine gebürtige Prinzessin zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg. Sie, Nesbo und Oliver Mommsen sind ein gutes Team, vor allem von Schwarzkopf hält nicht damit hinterm Berg, was für eine hohe Meinung sie von Jo Nesbos Schreibfertigkeiten hat.

Ich blättere kurz in dem eben gekauften Exemplar von Blood on Snow und lese darin, dass Jo Nesbo erst mit 37 mit dem Schreiben begonnen hat. Ich bin 35. Wir kommen beide aus der Finanzbranche. Mein Gehirn beginnt Verbindungen zu knüpfen, die nicht da sind.

Dann schwenkt auch die Moderatorin auf das Buch. Schwarzkopf fragt den ruhigen Norweger, wie er auf die Geschichte gekommen ist und ich horche auf. Das ist für mich als Autor interessant. Im gesamten Verlauf stellt sie interessante Fragen, man merkt ihre Erfahrung.

Nesbo erzählt, dass er am Flughafen in Kanada abgeholt wurde. Dort erkenne man den Ruhm eines Autors an der Größe der Limousinen. Er sieht einen Mann mit einem Schild auf dem sein Name steht, folgt ihm, steigt in eine nicht ganz so große Limousine, als unerwartet ein weiterer russisch sprechender Mann vorne einsteigt und sie losfahren. Doch der Wagen fährt nicht Richtung Toronto, obwohl das sein Ziel war.
Er verrät nicht, wo er wirklich hingefahren ist, aber die Idee für einen Roman war geboren. Abgeholt werden vor allem wohlhabende Menschen und niemand überprüft ernsthaft, zu wem er da ins Auto steigt. Nesbo ist zum Glück angekommen.

Aus diesem Erlebnis wuchs die Idee eines Buches und des dazugehörigen Schriftstellers. Er lebte in der 70ern veröffentlichte mit großem Erfolg ein Buch namens „Blood on Snow“. Nach Jahren jedoch schwindet sein Ruhm. Die Limousinen werden kleiner, doch ihm gelingt kein adäquates weiteres Buch. Also schreibt er einen zweiten Teil mit dem vielsagenden Titel „Blood on Snow 2: Mehr Blut“ (auf Norwegisch: Mere Blod). Das Publikum lacht ob dieser kreativen Glanzleistung des erfundenen Autors.

Dieser Autor wird auf Nesbos oben beschriebene Art entführt. Je mehr Nesbo sich mit diesen Blood on Snow Büchern für seine Geschichte beschäftigt, desto mehr will er über das Buch wissen, bis er schließlich auf die Idee kommt, die Bücher einfach zu schreiben – da es sonst keine tue, wie er anmerkt.

Er hatte die Idee, die Bücher unter dem Namens Tom Johansen herauszubringen, was der Name des Entführten ist. Der Verlag und er planten eine groß angelegte Aktion, mit eigener Wikipediaseite für Tom Johansen, in der auf dessen Entführung eingegangen wird. Eine Homepage sollte online gehen, eine ganze Existenz entstehen. Doch die Behörden schoben dem einen Riegel vor, denn man darf zwar unter Pseudonym veröffentlichen, aber keine komplette Existenz erfinden. Dieser Artikel aus der Welt zeugt aber noch von diesen Absichten. 20161020_194632_resized

So entstand Blood on Snow unter dem Namen Jo Nesbo. Die Reihe besteht aus drei Teilen. Neben dieser Reihe arbeitet Jo Nesbo an dem schon erwähnten 11 Teil seiner Harry Hole Serie, sowie an einer Neuadaption von Shakespeares McBeth, auf die zumindest ich mich sehr freue.

Oliver Mommsen macht sich nun daran aus Blood on Snow vorzulesen und es wird schnell klar, dass dieses Buch etwas besitzt, das anderen Nesbo Titeln eher fehlt: Humor. Mommsen liest mit einem leichten Schelm in der Stimme und macht es mir leicht, mir die Figur vorzustellen, die da in Richtung Nord-Norwegen flieht und gar nicht so böse rüberkommt, wie man es gemeinhin von Geldeintreibern erwartet.

Auf die Frage, ob Nesbo gezielt etwas komisches schreiben wollte, sagt er, dass es nach den ganzen düsteren Romanen um Harry Hole dem Kopf gut tut, wenn etwas anderes zu Papier käme. Er hat ebenfalls ein Kinderbuch geschrieben. Allerdings sei es nicht seine Herangehensweise, etwas lustiges schreiben zu wollen, sondern die Geschichte entwickele sich aus den Charakteren heraus.

Er erzählt, dass der Durchschnittsnorweger niemals den Norden des Landes zu sehen bekommt und dass es von Oslo genauso weit nach Rom ist, wie an die Nordspitze des eigenen Landes. Er lässt sich sogar zu der Behauptung hinreißen, die dort lebenden Samen seien die Römer Norwegens, offenherzig und kontaktfreudig, wohingegen der gemeine Norweger eher ruhiger Natur sei.

So werden die Samen zum wesentlichen Bestandteil seines Buches. Er vergleicht sie mit den Amish in Amerika, erzählt, dass es dort sehr strenge religiöse Strukturen gibt die zum Teil sogar verbieten, dass Vorhänge benutzt werden obwohl dort ein halbes Jahr lang durchgängig die Sonne scheint.
Dieses Thema rund um Minderheiten kann Befindlichkeiten auslösen und auch Nesbo berichtet, dass er zu Beginn ein wenig Gegenwind für die Sichtweise seiner Figuren erhielt. Natürlich hat Nesbo mit Absicht überzeichnet und war sich bewusst, was er da tat. So verschwimmt die anfängliche, von Vorurteilen geprägte Sicht des Protagonisten im Laufe des Buches und Nesbo hält lediglich den Norwegern den Spiegel vor, indem er sagt: „So hat ein Durchschnittsosloer in den Siebzigern nunmal die Samen gesehen. Wir haben Ihnen Ihre Sprache verboten. Die meisten von euch werden nie einen Samen zu Gesicht bekommen.“

Er sagte, es sei keine Ablehnung, wohl aber eine tiefe Ignoranz gegenüber diesem Teil der Bevölkerung vorhanden.

Man merkt Nesbo an, mit welchem feinsinnigen Respekt er den Samen begegnet.

Die Hauptfigur des Romans flieht in den hohen Norden um sich dort zu verstecken. Dort lernt er die dort lebenden Samen kennen und entwickelt von seiner zunächst von Vorurteilen geprägten Sicht einen ganz anderen Blick auf die Leute dort. Die Geschichte erinnert ein wenig an „der einzige Zeuge“ mit Harrison Ford und zeigt mir einmal mehr, dass der Stoff nicht neu erfunden, sondern einfach nur sehr gut umgesetzt werden muss, um ein gutes Buch zu schreiben.

Er spricht über Wertbilder der Gemeinschaft, dem Glauben an Gott und welche Auswirkungen es auf eine Gesellschaft hat, wenn man beobachten kann wie der eigenen Gemeinschaft der Nachwuchs ausgeht.
Das seine eignen Großeltern noch eine weitaus distanzierte Einstellung zu beispielsweise Homosexualität hatten, aber nicht weil sie schlechte Menschen waren, sondern weil es dem damaligen Wertesystem entsprach und dass er sich vor diesem Hintergrund die Frage stellt, wie seine Werte, die er für richtig und beständig hält, in dreißig Jahren von jemand anderem bewertet werden. 20161020_212410_resized

Nesbo kann sich den ein oder anderen feinen Seitenhieb auf Religionen nicht verkneifen. Er berichtet, dass es selbst innerhalb dieser religiösen Minderheiten noch Streitigkeiten darüber gibt, welches der „wahre“ Glaube sei und dass jeder, der nicht an den eigenen Glauben glaubt, in der Hölle brenne (was ein Running Gag einer Figur des Buches ist). Da es unterm Strich dann nur einige wenige hundert Menschen auf der Welt gibt, stellt er fest, dass es später im Himmel sehr viel Platz geben müsse.

Es geht um Liebe, Werte, um Spannung. Man merkt bei Nesbo, dass seine Bücher lange recherchiert wurden, dass er sich ausgiebig mit den Themen beschäftigt.

Wenn ich vorher schon großer Fan des Norwegers war, bin ich es jetzt umso mehr und ich freue mich bereits auf die kommenden Veröffentlichungen.
Zum Ende wird noch erzählt, dass Harry Hole 2017 ins Kino kommt. Der Schneemann wird verfilmt, Harry Hole wird von Michael Fassbender verkörpert, der zumindest optisch meiner Meinung nach eine hervorragende Wahl ist.

Es war lehrreich, wie Nesbo auf Ideen kommt und dass er seine Geschichten von den Charakteren aus plant. Ich konnte richtiggehend mitfühlen, wie sich die Ideen von der Taxifahrt bis hin zu den Büchern des erfundenen Autors entwickeln. Spannend war für mich die Betrachtung der Wertesysteme und wie ich viele der Tipps, die ich rund ums Schreiben erhalten und erlernt habe, in Nesbos Art zu arbeiten wiedergefunden habe.

Für mich war dieser Abend rundum gelungen und eine richtige Motivationsspritze, mich wieder an mein eigenes Werk zu setzen.


mail-793081_1280Newsletter

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, dass ich für mein heutiges „Augenschelm fragt:“ den anderen Teil des dynamischen „Schreibdiletanten“-Duos, Axel Hollmann, gewinnen konnte. Axel wurde 1968 in Berlin geboren, lebt in Berlin und möchte auch für immer und ewig dort wohnen bleiben.

Zusammen mit Marcus Johanus, den ich ebenfalls schon interviewt habe, hat er Deutschlands ersten Autorenpodcast ins leben gerufen und ist damit Inspiration für viele junge Autoren.

Ich erinnere mich noch lebhaft an meine ersten Schritte nach meinem willentlichen Entschluss „richtiger“ Autor zu werden, die mich schnell zu den Schreibdilletanten führten. Umso schöner ist es für mich, dass ich sowohl mit Marcus als auch mit Axel inzwischen regelmäßige Social Media Kontakte habe.

Axel hat bisher 4 Bücher veröffentlicht, drei davon bei Ullstein-Midnight, eines über Amazon-Publishing und kann somit auf reichlich Erfahrung zurück blicken.

Mehr über Axel könnt auf seiner Homepage http://www.axelhollmann.com/, bei Twitter oder Facebook und natürlich bei den Schreibdiletanten erfahren.

Interview

Erster Teil – Über Dich

1. Zu Deiner Person: Kannst du vom Schreiben leben? Falls nicht, was
machst Du, außer zu schreiben?

Vom Schreiben leben? Nein, das ist mir leider nicht möglich, aber vielleicht ändert sich das ja mal. Vor ein paar Jahren habe ich mit ein paar Freunden (u. a. Marcus Johanus, den der eine oder andere von euch vielleicht von unserem Autoren-Youtube-Channel „den SchreibDilettanten“ kennt“) in einem Fantasy- und Rollenspielladen gearbeitet. Jetzt findet man mich, wenn ich nicht an einem Romanmanuskript arbeite, über Buchführung brüten.asphalt-300px-breit

2. Wie bist Du dazu gekommen zu Schreiben und seit wann schreibst du?

Mit dem Schreiben habe ich mit dreizehn Jahren angefangen. Damals habe ich meiner Liebe für Rollenspiele (zunächst D&D, dann Midgard, Cthulhu und viele, viele andere…) entdeckt. Ernsthaft mit dem Romanschreiben habe ich angefangen, als ich mit der Arbeit in dem oben erwähnten Spieleladen aufgehört habe. Das war vor etwas mehr als zehn Jahren, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt.

3. Seit wann schreibst du mit dem festen Vorsatz, zu veröffentlichten?

S.o.

4. Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert?

Zum Glück hat mich meine Frau von Anfang an unterstützt – anders ist so etwas im Rahmen einer Familie auch nicht möglich.

Zweiter Teil: Das Publizieren

5. Ist Verlagspublikation oder Selfpublishing dein Weg?

Wer weiß? Heutzutage muss man sich da ja nicht mehr so eindeutig entscheiden. Bisher wurden meine Bücher bei Midnight, dem digitalen Imprint des Ullstein-Verlags und Amazon Publishing veröffentlicht. Das ist der Mittelweg zwischen Verlagsveröffentlichung und Selfpublishing.

6. Wieso hast du dich für diesen Weg entschieden?

Ganz einfach: Weil mir das zu der jeweiligen Zeit als beste Möglichkeit erschien.

7. In welchem Genre schreibst Du?

Krimi und Thriller. Allerdings bin ich ein riesiger SF-Fan und fühle mich auch im Fantasy- und Horrorgenre wohl. Wer weiß, vielleicht werde ich ja auch mal in dieser Richtung aktiv.

Dritter Teil: Gewohnheiten

8. Wie sieht sein gewöhnlicher Schreibtag von Morgens bis abends aus?

Meine Mittagspause verbringe ich zurzeit meist im McCafé Spandau. Und natürlich nutze ich die Zeit und das Koffein eines Latte Macchiatos, um eine Stunde (ja, es ist eine verlängerte Mittagspause) zu schreiben. Irgendwann am späten Nachmittag oder frühen Abend setze ich mich dann noch einmal an den Computer, um eine zweite Stunde zu schreiben. Wann genau das ist, hängt von meinem Brotjob und der Familie ab. Da muss ich einfach ein wenig flexibel sein.

9. Auf welche Art entwickelst Du eine Idee zu einer Geschichte?

Sehr analytisch. Ich brainstorme verschiede Grundideen – gerne mit der Hilfe von Mindmaps – von denen ich denke, dass sie mir Spaß machen würden (ganz wichtig) und auch eine Leserschaft finden. Davon ausgehend entwickelt ich dann Schritt für Schritt eine Story. Meist vom Ende zum Anfang. Wenn der erste Plotentwurf steht, spreche mit Freunden (Marcus) darüber, ändere hier und da etwas – ja, oder fange von vorne an, wenn ich merke, dass die Idee doch nicht so toll ist, wie ich erst dachte.

10. Wie viele Stunden arbeitest Du pro Woche an Deinem Buch?rissiges-eis-300px_breit

Ich versuche, jeden Tag zwei Stunden am Schreiben zu überarbeiten.

11. Wie oft überarbeitest Du im Schnitt?

Oft. Sehr oft. Mein letztes Projekt habe ich nach meiner siebten Überarbeitung an meine Agentur gegeben. Und je nachdem, wie es jetzt weitergeht, werde ich es bestimmt noch weiter überarbeiten müssen.

12. Wie wichtig ist für Dich die Struktur Deiner Geschichte?

Sehr wichtig. Ich plane gründlich, mein Plotentwurf umfasst, wenn er schließlich fertig ist, um die sechzig Manuskriptseiten.

Vierter Teil: Inspirationen

13. Welches Buch über das Schreiben kannst du unbedingt weiterempfehlen?

„On Writing“ von Stephen King.

14. Was war der beste Ratschlag, den du im Bezug auf das Schreiben
erhalten hast?

Der erste Entwurf ist Mist! Immer!

15. Welche drei Bücher haben dich am meisten inspiriert und warum?

Das oben erwähnte „On Writing“ von Stephen King motiviert mich bis heute, am Ball zu bleiben. Die Schreibbücher von James N. Frey haben mich viel über die Technik des Schreibens gelehrt. Die Thriller von Lee Child waren für mich in stilistischer Hinsicht eine Offenbarung.

16. Wie motivierst Du Dich zum Schreiben?

Ich schreibe gerne, insofern muss ich da nicht groß motiviert werden.

17. Was sind Deine besten Tipps, wenn es darum geht Deinen Roman an den Mann zu bringen?

Der beste Tipp: Kenne den Markt. Zurzeit gibt es so viele Möglichkeiten, als Autor seinen Weg zu weihnachtsmann-300px-breitgehen, wie vermutlich noch nie. Für Autoren ist das eine gute Zeit – wenn man sich auskennt. Knüpfe Kontakte zu anderen Autoren. Tummel dich auf Facebook, Foren und Websites.

18. Mit welchem Romanhelden möchtest Du gerne einen Tag verbringen?

Eine gute Frage. Vielleicht mit Michael Connellys „Harry Bosch“?

19. Glückwünsch! Du hast eine Fee gefunden und sie erfüllt Dir einen
Wunsch. Einzige Einschränkung, es muss etwas mit Büchern zu tun haben.
Was wünschst du dir?

Mehr Zeit, um Bücher zu lesen.

20. Welche fünf Eigenschaften sollte ein Autor unbedingt besitzen?

Beharrlichkeit, das genügt völlig.

21. Welchen Ratschlag möchtest du jemandem mitgeben, der gerade erst mit dem Schreiben begonnen hat?

Wie schon ober erwähnt: Suche Kontakt zu anderen Autoren, auch wenn es „nur“ über das Internet ist. Du brauchst sie zur Motivation. Werde dir darüber klar, dass du „am Ball“ bleiben musst. Wenn alles optimal läuft (und das tut es vermutlich selten), solltest du mindestens fünf Jahre einplanen, ehe sich erste Erfolge einstellen.

Fünfter Teil: Organisation

22. Wie findest Du Deine Zielgruppe?

Ich schreibe, was ich auch selbst gerne lese. Einen anderen Weg gibt es meiner Ansicht nach nicht.

23. Familie, Arbeit, Studium, Schreiben, Vertrieb der Bücher, Social
Media. Der Kalender ist voll, was tust du, um nicht auszubrennen dabei?schlaglicht-300px-breit

Ich habe in Marcus (s.o.) einen erstklassigen Schreibkollegen, den ich nerven kann, wenn ich mal demotiviert bin oder etwas nicht so läuft. Ansonsten habe ich durch unseren Autoren-Youtube-Channel ein wenig Ablenkung.

24. Wie viel der Zeit die Du schreibst macht dir Spaß und wie viel ist eher Quälerei?

Fifty-fifty.

25. An wie vielen Projekten arbeitest du gleichzeitig?

Zurzeit immer nur an einem – ich plane aber, zukünftig parallel an mehreren zu arbeiten.

26. Was sind, aus Deiner Sicht, Deine 3 wertvollsten Gewohnheiten im
Bezug auf das Schreiben?

Drei? Mir fällt jetzt eigentlich nur der Latte Macchiato ein, den ich mir jeden Tag beim Schreiben gönn.

27. Wie stehst du zu den Begriffen. Autor, Schriftsteller, Hobbyautor?

Ach, um ehrlich zu sein, sind mir die Begriffe da nicht so wichtig.

28. Wenn Du eine Sache am Buchmarkt ändern könntest, was wäre das?

Ich finde den Buchmarkt, so wie er zurzeit ist, unheimlich spannend. Er bietet uns Autoren viele Möglichkeiten – mit oder ohne Verlag. In sofern: Aus meiner Sicht muss da nichts geändert werden.

29. Zum Schluss was Handfestes: Welche Workshops, Lehrgänge, Coverdesigner, Lektoren und Korrektoren kannst du aus deiner bisherigen Arbeit empfehlen?

Coverdesigner, Lektoren oder Korrektoren musste ich mir bisher nicht suchen, das haben meine Verlage für mich erledigt. Insofern muss ich zu dieser Frage passen. Workshops und Lehrgänge habe ich viele verschiedene besucht. Mein Tipp, wenn es zeitlich und mit dem Geld irgendwie passt, einfach mal einen Lehrgang versuchen, wenn einem das Programm halbwegs passt. Bisher habe ich immer etwas gelernt.

Lieber Axel, vielen Dank für Deine interessanten Antworten.

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 „Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert als durch Kritik gerettet werden.“ 

– Sprichwort aus den USA


Als Person des öffentlichen Lebens ist man ständiger Kritik ausgesetzt.

Jogi Löw sieht sich bei jedem Spiel zehntausenden von kleinen Bundestrainern gegenüber. Eine richtige Entscheidung löst Jubel aus; ein Fehler – den möglicherweise nicht einmal der Trainer gemacht hat – und der Mob tobt.

„Mit diesem Bundestrainer können wir ja auch nichts gewinnen.“

Jeder kann ein Tatortdrehbuch besser schreiben als die Drehbuchautoren.

Jeder kann besser schauspielern als die Thomalla.

Jeder kann besser schreiben als Du. Oder zumindest genau so gut.

vigeland-947342_1920In der heutigen Zeit erleben wir ein Phänomen, das neu ist. Die Kritik, ganz gleich welcher Qualität, ist um ein vielfaches wahrnehmbarer als früher. Sie äußert sich in Shitstorms, aber auch in der Einzelkritik.
Wo früher im Wohnzimmer vor sich hingeschimpft wurde, findet Kritik heute Wege in die Öffentlichkeit, kummuliert sich, wird laut. Das kann wunderbar und positiv sein, kann soziale Bewegungen in Gang setzen.
Sie kann auch das Gegenteil bewirken; kann Menschen klein machen oder klein halten. Kann ihnen Angst machen.

Als Autor ist man per Definition eine Person des öffentlichen Lebens, jemand, der gelesen werden will, der wahrgenommen werden will.
Das zieht zwangsläufig Kritik nach sich und wir müssen, ob wohl oder übel, mit diesem Thema leben. Es lohnt sich also, einen Blick auf Kritik zu werfen. Was steckt hinter diesem Begriff? Kann man Kritik vermeiden? Wie geht man am besten damit um, wenn man kritisiert wird?

Was sagt Wikipedia?

Wikipedia definiert Kritik wie folgt:

1.    Unter Kritik versteht man die Beurteilung eines Gegenstandes oder einer Handlung anhand von Maßstäben.
2.    Neben der Bedeutung der prüfenden Beurteilung und deren Äußerung in entsprechenden Worten bezeichnet die Kritik – insbesondere in der Verbform kritisieren ebenso wie monieren[3] und die Monierung[4] – auch eine Beanstandung oder Bemängelung

Kritik bedeutet „trennen“ oder „unterscheiden“. Sie wird sprachlich differenziert von Skepsis, Verriss, Schmähkritik, Tadel, Rüge oder Nörgelei.

So zumindest in der Theorie. In der Praxis kann diese Unterscheidung nur treffen, wer sie kennt und wenn mein Buch auf Amazon eine 1 Stern Rezension erhält, ist es gar nicht so leicht herauszufinden um welche Kritikqualität es sich handelt.

Kritik ist in der heutigen Zeit, und das ist neu, ein Verkaufsargument. Ein Stern auf Amazon trifft nicht nur den Autoren, der mit Herzblut in sein Werk investiert hat, es trifft auch zukünftige Kaufinteressenten. Das verleiht dem Rezensenten eine gewisse „Machtposition“ gegenüber dem zu Kritisierenden.

Dieser Umstand löst bei Autoren sehr häufig Selbstrechtfertigungsreflexe aus, die das Lesen der Kommentare bei Amazon streckenweise spannender machen als das Buch.

Wie Wikipedia aufteilt, bedeutet Kritik zum einen, dass ein Gegenstand (oder ein Roman) an einem Maßstab gemessen und beurteilt wird. Romane sind keine Bananen und man kann sie nicht in DIN Normen zurechtbiegen. Dennoch gibt es bei Romanen Formen, es gibt Dinge die funktionieren und die nicht funktionieren. Eine Reihe Literaturkritiker haben sich mit diesem Thema auseinander gesetzt (Lessing, Schlegel, Heine…).

Es kommt auch darauf an, wer kritisiert

Ich bin ehrlich, ich fände auch eine Kritik eines Markus Heitz, Rainer Wekwerth oder Sebastian Fitzek toll, weil ich weiß, dass allesamt erfahrene Autoren sind.

Es gibt also eine Kritik, die ich (und ihr wohl auch) gerne bereit bin anzunehmen, nämlich wenn die „Beurteilung anhand von Maßstäben“ sich an der Erfahrung des Kritisierenden bemisst.

Beim Jiu Jitsu kritisiert der Sensei meine Körperhaltung und ich nehme die Kritik an, denn ich weiß, dass er es von seiner Position besser sieht und mehr Erfahrung hat.

Ich nehme die Kritik meines Lektoren an, weil er ein Profi ist.

Diese Form der Kritik ist wichtig für uns. Sie zeigt uns auf, was wir besser machen können, sie weist uns eine Richtung und wir akzeptieren sie, weil wir die Eloquenz des Kritikers erkennen.
Wertschätzende Kritik auf der Arbeit und im Leben sind Hinweise, Tipps. Sie ist wertvoll und sie sollte als solche geachtet werden.

Nun ist das beileibe nicht immer der Fall. Im Netz findet sich haufenweise Kritik, die diese Bezeichnung nicht verdient. Sie ist persönlich, beleidigend oder auch einfach nur nicht sachgemäß.

Eine Amazon 1* Rezension mit „Der Roman ist scheiße“ ist für den Autor in etwa so gewinnbringend, als hätte der Rezensent „Die Haare des Autoren sind hässlich“ oder „draußen ist es kalt“ als Begründung genommen. Sie hilft nicht, aber sie verletzt uns.

Es ist jetzt leicht zu sagen, man solle diese Art Kritik nicht so nah an sich heran lassen. Das ist zwar richtig, aber es gelingt dem einen besser, dem anderen schlechter.

Umgang mit unsachlicher Kritik

Wie also umgehen mit Kritik die

•    Unsachlich und verletzend, zu allgemein gehalten, übertrieben oder darauf angelegt ist, uns klein zu halten? Die unsere Person infrage stellt?

Zunächst sollte uns klar sein, dass Kritik eine Meinung ist. Meinungen hat jeder. Man muss nichts können und nichts vorweisen, um eine Meinung zu haben. Es muss nicht mal die eigene Meinung sein, manchmal ist sie einfach von jemand anderem übernommen.
Du hast also das Recht eine Meinung abzulehnen, oder um es mit Terry Cole-Whittakers Buchtitel zu sagen „Es geht mich nichts an, was sie über mich denken“.

Da aber eine 1* Rezension auf Amazon kein Verkaufsargument ist, werden wir uns damit schwer tun. Um eine negative Kritik auszubügeln, benötigt man 3 positive Kritiken. Es ist allerdings festzustellen, dass Bewertungen auf Amazon zunehmend kritischer von anderen Amazonkunden gewürdigt werden, es ist also hier nicht alles verloren. Vor allem der Umgang des Kritisierten mit der Kritik kann hier eine Rolle spielen.

In vielen Fällen ist inhaltsleere Kritik verbunden mit einem Problem des Kritikers selbst.woman-1006102_1920

1.    Er mag dich als Person nicht. Das kommt vor im Leben. Man kann es nun mal nicht allen recht machen. Hier haben wir keine Kritik am Werk, sie ist somit nutzlos. Wenn jemand nicht mag wie ich rede, aussehe oder rieche, dann gehen die Person und ich uns am besten aus dem Weg. Man darf sich fragen, wieso diese Person sich dazu berufen fühlt, dann ein Buch von mir zu kaufen und auch noch zu bewerten.

2.    Du tust nicht, was er will. Das ist eine recht häufige Art der Kritik. Eigentlich ist es keine Kritik, sondern eine als Kritik getarnte Aufforderung dich endlich so zu verhalten, wie der Kritiker es gerne hätte. Das findet man oft im privaten Umfeld. Vorsicht: Bei geliebten Menschen lohnt sich das hinhören und das hinterfragen der eigenen Einstellung. Allerdings nicht immer.

3.    Der Kritiker ist mit irgendwas unzufrieden, das nicht in Deiner Hand liegt und braucht ein Ventil. Wer schon mal im Kundenverkehr gearbeitet hat, kennt das Gefühl ständiger Prellbock für die Launen der Leute zu sein. Diese sind meistens kurzfristig und finden sich nicht in Amazon Rezensionen wider, aber es soll vorkommen.

4.    Der Kritiker hat schlicht und einfach vor, dich aus der Fassung zu bringen oder sich selbst zu erhöhen.

aber

Trotzdem genau hinhören

Wenn die Rezensionen sich häufen und immer und immer wieder die gleichen Dinge angesprochen werden, dann darfst du dir das gerne noch einmal ansehen.
Daher sollte folgendes im Umgang mit Kritik gelten:

1.    Liefere die beste Arbeit ab, die du abliefern kannst.

Du bist Autor. Du trittst an die Öffentlichkeit. Du möchtest Geld für Dein Buch. Leser sind ein gewisses Niveau gewöhnt und sie sind sogar in hohem Maße bereit, Selfpublishern einige Fehler zu verzeihen. Aber Leser mögen es nicht, wenn sie das Gefühl haben, halbfertige unausgereifte Bücher vor sich zu haben. Diese Kritik habe ich schon hundertfach bei Amazon gelesen. Gib Gas, dann hast Du auch das nötige Selbstvertrauen zu Dir zu sagen: „Ich habe mein Bestes gegeben und kann über der Kritik stehen, wenn sie nicht angebracht ist.“

Dazu gehört auch, Dein Buch VOR Veröffentlichung von anderen Personen lesen zu lassen.

2.    Schlafe eine Nacht darüber

Reagiere nicht sofort. Der Nachteil der breiten Kritikmasse bietet auch einen Vorteil. Sie ist nicht so direkt. Anders als mit dem Kollegen im Büro (die sich heute mit Kritik auch vielfach hinter E-Mail verstecken, weil sie doch nicht so mutig sind) musst Du nicht sofort reagieren. Schlafe eine Nacht drüber, lass den Zorn verrauchen.

Auch hilfreich: Schreibe vorher auf, was Du sagen willst. Lass alles raus. Lies es am nächsten Tag und dann schmeiß diesen Zettel in die Tonne.

3.    Rechtfertige dich nicht

Wenn Du das Beste gegeben hast, musst du dich nicht rechtfertigen. Schreibt jemand „der Roman ist scheiße“, dann frage zB „Was genau hat dir nicht gefallen?“. Wenn der Kritiker darauf nicht mehr eingeht, erkennt auch ein Dritter, dass es mit seiner Kritik nicht weit her ist. Aber wer weiß, vielleicht bekommst du daraus sogar einen hilfreichen Hinweis?

4.    Bleibe bei der Sache

Lasse dich nicht auf die persönliche Eben ziehen. Manche machen das nur zu gerne, am Ende büßt du Reputation ein.

Es hilft übrigens auch nicht, den Kritisierenden runterzumachen. Wenn ein Autor sich rechtfertigt oder gerechtfertigt wird (was öfter vorkommt, als ich gedacht hätte), lese ich oft das Wort „Neid“ oder „Neider“. Ich habe am Ende immer das Gefühl, dass niemand diese Diskussion „gewonnen“ hat. Der unbeteiligte Dritte hingegen hat sich ein Bild gemacht und nimmt im Zweifel eher Abstand vom Kauf.

5.    Frage dich, welchen Einfluss die Kritik WIRKLICH hat

Wenn Du Ratschlag 2 nicht befolgst, ist jede Kritik ein grausamer Schlag. Du fühlst dich schlecht, es brodelt in dir. Du willst herausschreien „das stimmt nicht“ oder du kaust auf Deinen Nägeln und denkst „oh nein! Ist da wirklich so schlecht?“.
Am Ende stellst Du fest, dass die Kritik hohl ist. Im besten Fall noch schlecht geschrieben. Geh darüber hinweg, es ist eine Meinung, Du musst sie nicht annehmen, denn sie hat keinen wirklichen Einfluss auf Dein Leben.

6.    Akzeptiere konstruktive Kritik

Sie ist Dein Treibstoff. Jede kritische 2-3 Sterne Kritik macht Dich als Autor besser. Ein wundervolles Beispiel für konstruktive Kritik, gepaart mit professionellem Umgang des Autoren habe ich bei Annika Bühnemann auf Amazon gefunden (Leider funktioniert der Link nicht mehr – sobald ich die Bewertung wieder gefunden habe, ist das Beispiel wieder verlinkt)

7.    Sei dankbar für kritische Worte

In der freien Wirtschaft sind wir dankbar für jeden Kunden, der sich beschwert. Es gibt ganze Abteilungen mit Qualitätsmanagement. Wieso ist das so? Ein Kunde der sich nicht beschwert frisst seine Unzufriedenheit in sich hinein. Er packt seine Sachen und verschwindet, du siehst ihn nie wieder. Ein Kunde der sich äußert kann helfen Fehler und schlechte Prozessabläufe zu erkennen. Er bietet aber auch die Möglichkeit der „Heilung“. Durch freundlichen Umgang, durch Beseitigung des Fehlers (siehe Beispiel oben). So sind aus einstmals unzufriedenen Kunden schon richtige Fans geworden. Das bietet eine Chance, mache Dir das klar.

Ist die Kritik unsachlich, fies und persönlich gibt es ein paar Mittel, um sich aus der Wut und dem angegriffen fühlen herauszuwinden:weather-1611702_1920

•    Bedauere den Kritiker. Er ist kindisch, trampelt auf den Boden weil er nicht bekommt, was er will. Er kann einem leid tun mit seinem Versuch, nach Aufmerksamkeit zu rufen.
•    Stell Dir den Kritiker als Cartoon vor. Als Ralph Wiggum von den Simpsons oder als jemand anderes, dessen Kritik dich eher zum Lachen bringen würde. Inklusive Stimmlage.
•    Such nach dem Motiv des Kritikers. Welcher Typ ist er? Hat er Zuhause Ärger und will den loswerden? Ist er Misanthrop und sowieso immer mit allem unzufrieden

Versuche mit der Kritik abzuschließen und mach Dir klar, dass Kritik etwas wertvolles sein kann, das Kritiker Trainer sein können und dass sie keineswegs immer persönlich zu nehmen ist.

Selbst richtig Kritik üben

Umgekehrt, wenn Du Kritik gibst, achte auf die gleichen Dinge. Kritik ist wertvoll und jeder Autor ist dankbar für eine Rezension auf Amazon.

Achte darauf auf Dich bezogen zu schreiben („In meinen Augen hat …“, „Ich hatte das Gefühl …“). Auch wenn gerne gesagt wird, dass Kritik objektiv sein soll ist das Quatsch und ein Ding der Unmöglichkeit. Kritik ist äußerst subjektiv. Sie soll sachlich – also auf die Sache bezogen sein – aber sie spiegelt Deine Meinung wider.

Sei so konkret wie möglich („In meinen Augen wird zu oft das Wort „XY“ verwendet, so dass sich die Wirkung bei mir schnell abgenutzt hat“)

Lobe, was gut war („Hingegen hat mir sehr gut gefallen, dass …“)

Sei Dir als Kritiker klar darüber, dass Kritik je nach Persönlichkeit des Kritisierten als Angriff wahrgenommen und zu verbaler Verteidigung führen kann. Am besten verweist Du auf diesen Artikel :-)


    „Nur wenige Menschen sind klug genug, hilfreichen Tadel nichtssagendem Lob vorzuziehen.“ – François de La Rochefoucauld

    „Wer mir schmeichelt ist mein Feind, wer mich tadelt ist mein Lehrer.“ – Chinesisches Sprichwort

   „Ich bin dankbar für schärfste Kritik, wenn sie nur sachlich bleibt.“ – Otto von Bismarck (1815-98), erster deutscher Reichskanzler

    „Man wird nicht dadurch besser, dass man andere schlechtmacht.“ – Heinrich Nordhoff (1899-1968), ehem. Vorstandsvorsitzender von VW

„Um Kritik zu vermeiden: Tu nichts, sag nichts, sei nichts.“ –  Elbert Hubbard (1856-1915), amerik. Schriftsteller

 


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„Frag. Es gibt keine dummen Fragen.“

„Warum riechst du so komisch aus dem Mund?“

„Halt die Klappe. So was fragt man nicht!“

Als ich mich entschloss, es mit dem Schreiben ernst zu meinen, hatte ich viele Fragen. Heute, zwei Jahre später, sitze ich vor meinem Laptop, die Strin zur Denkerpose gequetscht … und stelle mir immer noch viele Fragen.

Es hat sich nicht geändert.light-bulb-1042480_1920

Die Fragen sind andere. Das ein oder andere weiß ich inzwischen. Bei anderen Dingen bin ich noch immer so blank wie der polierte Mercedes meines 71 jährigen Nachbarn.

Fragen zu stellen ist wichtig um sich weiter zu entwickeln. Kinder wissen das. Erwachsene auch.

Manchmal.

Ich habe mich an meine Kindheit erinnert und einen Fragenkatalog entwickelt. Ich habe gesammelt, was mich an anderen Autoren und deren Arbeitsweise interessiert.

Mit Hilfe von Twitter habe ich meine Follower gefragt, was sie interessiert. Daraus entstand ein 29 Fragen starker Katalog.

Da das alleine nichts nützt, habe ich ihn an eine ganze Reihe von Autoren gesendet. Einige Antworten habe ich bereits erhalten und ich habe mich schon jetzt über die Bandbreite gefreut.

Ist so eine Fragerunde nicht statisch? Immer die gleichen Fragen? Nicht auf den Gegenüber eingehen? Zu wenig Aktion – wenig investigativ.

Das war auch der Punkt, an dem ich gehadert habe. Schon jetzt stelle ich fest, nicht die Fragen machen es interessant; die Antworten sind es. Die Fragen sollen nicht investigativ sein. Sie sollen einfach nur zeigen, wie andere Autoren arbeiten.

Ich werde von nun an in regelmäßigen Abständen Interviews im Augenblog veröffentlichen und mit der Kategorie „Interview“ versehen (schlau, ich weiß).

Ihr werdet sehen, wie unterschiedlich die Herangehensweisen sind. Wie verschieden die Sichtweisen von Autor zu Autor sind. Ihr werdet euch wiederfinden oder den Kopf schütteln. Ihr werdet Tipps erhalten, die ihr umsetzt und Tipps, die euch nicht interessieren. Ihr werdet interessantes über die Autoren erfahren.

In jedem Fall werdet ihr danach wissen, dass wir alle unsere eigenen Wege finden müssen, um gute Bücher zu schreiben und dass es viele, viele Wege gibt, um dieses Ziel zu erreichen.

Viel Spaß mit dem Format „Augenschelm fragt:“.

Das erste Interview wird voraussichtlich nächste Woche an den Start gehen.

 

 

Seiten

Archiv Augenschelm fragt:


Hier findest Du die Liste aller bisher geführten Autoreninterviews.

Staffel 1

26.07.2016 Augenschelm fragt: Elyseo da Silva

08.08.2016 Augenschelm fragt: Marcus Johanus

26.08.2016 Augenschelm fragt: Nike Leonhardt

09.09.2016 Augenschelm fragt: Markus Heitz

12.10.2016 Augenschelm fragt: Michaela Stadelmann

25.10.2016 Augenschelm fragt: Axel Hollmann

15.11.2016 Augenschelm fragt: Tanja Hanika

25.11.2016 Augenschelm fragt: Zoë Beck

23.12.2016 Augenschelm fragt: Mareike Albracht

26.01.2017 Augenschelm fragt: Sonea von Delvon

08.03.2017 Augenschelm fragt: Alessandra Reß

30.03.2017 Augenschelm fragt: Nina C. Hasse

24.04.2017 Augenschelm fragt: Benjamin Spang

18.05.2017 Augenschelm fragt: Anja Kiel

31.05.2017 Augenschelm fragt: Sebastian Fitzek