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Liebe Leser,

nach nun fast einem Jahr geht meine erste Staffel von „augenschelm fragt“ zu Ende. Es hat mir viel Spaß gemacht, mit so vielen Autoren zu sprechen, so viel über Ihre Gewohnheiten zu erfahren und zu sehen, wie sie ihrer täglichen Arbeit nachgehen.

Die Interviews waren lehrreich, unterhaltsam und vielschichtig.

Die Idee dieser Serie war es, Neueinsteigern und auch erfahrenen Autoren zu zeigen, dass es „DEN WEG“ für Autoren nicht gibt, dass jeder seine eigenen Pfade austritt um ans Ziel zu gelangen. Als ich diesen Fragebogen entwickelte, hatte ich keine Ahnung, wen ich alles interviewen würde und es hat eine Weile gedauert, bis ich mir ein Herz gefasst habe und auch erfahrene Autoren anschrieb.

Da die meisten Leute aus der schreibenden Zunft wenig Zeit haben, war die Rücklaufquote insgesamt gering. Umso dankbarer bin ich allen, die sich die Zeit genommen haben, mir und euch diese Fragen zu beantworten.

Aus diesem Grund bin ich auch auf mein letztes Interview überaus stolz. Ich bin großer Fan von Sebastian Fitzek und kann an dieser Stelle nur sagen, was für ein angenehmer und netter Zeitgenosse er ist. Es hat mich viel Überwindung gekostet, ihn anzuschreiben und immer wieder zu erinnern (es hat insgesamt über 6 Monate gedauert, bis wir dieses Interview zusammen hatten), aber Sebastian hat wirklich ein Herz für seine Fans und junge Autoren und sollte er irgendwann von mir genervt gewesen sein, so hat er es mich nicht merken lassen :-)

Ich darf euch heute also ein Interview mit dem aktuellen Krimipreisträger, Bestseller- und möglicherweise aktuell erfolgreichsten deutschen Thrillerautoren anbieten, der über 8 Millionen Bücher in 24 Sprachen verkauft hat.

Viel Spaß beim Lesen!

www.sebastianfitzek.de

Interview

Teil 1: Über Dich

1. Zu Deiner Person: Kannst du vom Schreiben leben? Falls nicht, was
machst Du, außer zu schreiben?

Ich genieße das Privileg, vom Schreiben leben zu können.

2. Wie bist Du dazu gekommen zu schreiben und seit wann schreibst du?

Ich habe Anfang 2000 angefangen und bin seitdem nicht mehr vom Schreiben losgekommen.

3. Seit wann schreibst du mit dem festen Vorsatz, zu veröffentlichten?

Das war von der ersten Zeile an. Ich wollte wissen, ob es mir gelingt, etwas zu Papier zu bringen, das nicht nur mir alleine gefällt.

4. Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert?

Zunächst gar nicht, denn ich habe es niemandem erzählt, außer meinen Eltern. Die haben mich allerdings sehr unterstützt.

5. In welchem Genre schreibst Du und was begeistert Dich an diesem Genre?

Ich schreibe Psychothriller. Die menschliche Seele ist für mich wie die Tiefsee, ein Ort, von dem jeder ein Bild vor seinem Auge hat, aber die Wenigsten haben ihn erforscht und niemand kennt all seine Geheimnisse.

Teil 2: Publikation und Marketing

6. Ist Verlagspublikation oder Self-Publishing dein Weg?

Verlag.

7. Wieso hast du dich für diesen Weg entschieden?

Vor elf Jahren war das damals der logische, erste Weg und ich war froh, dass ein Verlag mir eine Chance gab.

8. Wie lange musstest Du warten, bis ein Verlag ein Manuskript von Dir genommen hat?

Drei Jahre.

9. Was sind Deine besten Tipps, um auf einen Roman aufmerksam zu machen?

Alles steht und fällt mit der Geschichte. Natürlich gibt es viele Marketing- und PR-Maßnahmen. Doch als Anfänger bekommt man vom Verlag in der Regel kein Budget dafür. Mein Erstling wurde in einer Auflage von 4000 Stück gedruckt, es gab keine Werbung, keine Interviews bei der Veröffentlichung, keine Lesungen. Hätte sich der Inhalt des Buches nicht herumgesprochen, wäre es im Meer der Veröffentlichungen untergegangen. Natürlich gehört dazu auch sehr viel Glück, aber nichts schlägt jemals die Kraft der Mundpropaganda. Man muss also etwas verfassen, das andere gerne weiterempfehlen. Dazu muss man zunächst ein Buch schreiben, das man selbst gerne lesen will. Ich rate also dazu, nicht beim Schreiben einen „Markt“ im Kopf zu haben, sondern nur die Geschichte, die man unbedingt erzählen will.

10. Wie findest Du Deine Zielgruppe?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Siehe Frage 9.

Teil 3: Gewohnheiten

11. Wie sieht sein gewöhnlicher Schreibtag von morgens bis abends aus?

Ich setze mich um 09.00 Uhr an den Schreibtisch und schreibe so lange es geht.

12. Auf welche Art entwickelst Du eine Idee zu einer Geschichte?

Ich versuche eine lose Idee mit einem etwa 10-seitigen Exposé für mich selbst greifbar zu machen. Dann fange ich an zu schreiben und warte darauf, dass sich die Figuren und die Geschichte verselbständigen.

13. 3-Akte, 5-Akte, 8 Sequenzen. Wie strukturierst Du Deine Geschichte?

Ich tendiere zu einer dreiaktigen Struktur, mache mir über Erzähltheorie aber eher selten Gedanken. Das geschieht meist intuitiv.

14. Wie viele Stunden arbeitest Du pro Woche an Deinem Buch?

Das lässt sich so nicht sagen. Ist eine Lesetour auch Arbeit am Buch? Oder zählt nur das reine Schreiben? Fakt ist: Ich arbeite täglich an einem Buch, auch an Weihnachten, zu meinem Geburtstag, etc. Ohne Ausnahme.

15. Wie oft überarbeitest Du im Schnitt?

Drei Mal.

16. Wie gehst Du bei der Überarbeitung vor? Hast Du ein bestimmtes System?

Ich lese mir die Entwürfe laut vor und versuche die Anmerkungen meiner Lektorinnen so gut es geht zu berücksichtigen.

17. Wie motivierst Du Dich zum Schreiben?

Mit einem guten Buch oder einem Film, der mich inspiriert.

18. An wie vielen Projekten arbeitest du gleichzeitig?

Immer nur an einem Buch.

19. Was sind, aus Deiner Sicht, Deine 3 wertvollsten Gewohnheiten im
Bezug auf das Schreiben?

1. Kontinuität. Viele Menschen denken, ein Buch wird umso besser, je mehr man sich damit Zeit lässt. Sorgfalt ist natürlich eine Grundvoraussetzung, aber gerade bei einem Thriller ist es wichtig, dass man das Timing und sein Figurenpersonal fest im Griff hat. Wenn man nur alle zwei Monate einen Satz schreibt, dann zerfasert die Geschichte. Besser ist es drei Monate am Stück Tag durchzuarbeiten.

2. Pausen einplanen.
Es mag wie ein Widerspruch zu Punkt 1 klingen, aber Kreativität entsteht häufig durch Langeweile. Also mal ganz bewusst das Handy weglegen und irgendwo hinfahren wo nichts los ist. Der Geist beginnt sich erst zu beruhigen, dann zu arbeiten und man kommt auf völlig neue Ideen.

3. Scheuklappen aufsetzen
Wir haben uns diesen Beruf nicht gewählt, um Auftragsproduktionen zu leisten. Wir wollen Geschichten erzählen, jeder aus einem anderen Grund. Es gilt, diesen Grund herauszufinden und ihm treu zu bleiben, egal was andere von einem wollen.

20. Wie viel der Zeit die Du schreibst macht dir Spaß und wie viel ist eher harte Arbeit?

Da Spaß und harte Arbeit kein Widerspruch ist, hält sich das wohl die Waage.

21. Wie lange hast Du an Deinem ersten fertig geschriebenen Roman gearbeitet?

Brutto zwei Jahre, netto vielleicht 4 Monate.
Ich hatte ja noch einen Brotberuf und konnte nur in meiner Freizeit und im Urlaub arbeiten.

Teil 4: Inspirationen

22. Welches Buch über das Schreiben kannst du unbedingt weiterempfehlen?

Die Odyssee des Drehbuchschreibers von Christoper Vogler.

23. Was war der beste Ratschlag, den du im Bezug auf das Schreiben
erhalten hast?

Nie zu glauben, der erste Entwurf wäre bereits perfekt.

24. Welche drei Romane haben dich am meisten inspiriert und warum? 

Diese Frage ist angesichts der Vielzahl der Bücher, die mich beeinflusst haben, nicht zu beantworten. Müsste ich allerdings ein einziges Buch nennen, wäre es „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende, die mir die Welt der Bücher buchstäblich eröffnet hat.

Teil 5: Organisation und Persönlichkeit

25. Welche fünf Eigenschaften sollte ein Autor unbedingt besitzen?

Empathie, Kreativität, Ausdauer, Kritikfähigkeit und einen guten Rücken.

26. Welchen Ratschlag möchtest du jemandem mitgeben, der gerade erst mit dem Schreiben begonnen hat?

Höre erst auf Ratschläge, wenn du mit deinem ersten Entwurf fertig bist.

27. Familie, Arbeit, Studium, Schreiben, Vertrieb der Bücher, Social Media. Der Kalender ist voll, was tust du, um nicht auszubrennen dabei?

Ich lese, verreise gerne und spiele mit meinen Kindern.

Teil 6: Ausblicke und Einblicke

28. Glückwünsch! Du hast eine Fee gefunden und sie erfüllt Dir einen

Rechte des Fotos liegen beim Autor

Wunsch. Einzige Einschränkung, es muss etwas mit Büchern zu tun haben. Was wünschst du dir?

Alle meine Lieblingsautoren noch nicht entdeckt zu haben.

29. Wenn Du eine Sache am Buchmarkt ändern könntest, was wäre das?

Die Schließung lokaler Buchhandlungen.

30. Zum Schluss was Handfestes: Welche Workshops, Lehrgänge, Coverdesigner, Lektoren oder Korrektoren kannst du aus Deiner bisherigen Arbeit empfehlen?

Oh, da würde ich einen Blick in eine meiner Danksagungen empfehlen. Da stehen alle Namen derer, ohne die mein Erfolg nicht denkbar wäre, insbesondere die meiner Lektorinnen Carolin Graehl und Regine Weisbrod. Lehrgänge und Workshops habe ich nie besucht.

Lieber Sebastian, ich danke Dir für die Zeit die Du Dir für dieses Interview genommen hast. Es hat mir viel Spaß gemacht und war eines meiner persönlichen Highlights 2016-2017, dass wir eine ganze zeitlang immer wieder in Kontakt standen.

Ich hoffe, alle angehenden und aktiven Autoren können aus meiner „Augenschelm fragt:“-Reihe etwas mitnehmen. Mein Dank gilt allen, die teilgenommen haben. Wir alle wissen, wie rar gesät die Zeit ist und auch wenn ihr nur die erfolgreichen Anfragen sehr, gingen sehr viele unter oder wurden nicht beantwortet.

Allerdings käme es mir nicht in den Sinn, daraus irgendeinem Autor einen Vorwurf zu machen, schließlich bringen Bücher das Essen auf den Tisch und keine Interviews. Deshalb noch einmal meinen ausdrücklichen Dank an:

Elyseo da Silva, Marcus Johanus, Nike Leonhardt, Markus Heitz, Michaela Stadelmann, Axel Hollmann, Tanja Hanika, Zoë Beck, Mareike Albracht, Sonea von Delvon, Alessandra Reß, Nina C. Hasse, Benjamin Spang, Anja Kiel und Sebastian Fitzek.

Hallo liebe Leser,

der folgende Artikel ist ein Gastkommentar von Ron Kellermann und auf Auftakt meiner Zusammenarbeit mit dem Dramaturgieblog filmschreiben.de.

Ich bin dankbar für diese Möglichkeit. Der tiefe Fundus an Wissen, den dieses Blog bereithält ist lesenswert für jeden, der sich mit dem Schreiben beschäftigt, ganz gleich ob es sich dabei um Drehbuch- oder Prosaautoren handelt.

Der Originalartikel erschien am 08. Januar 2017 auf filmschreiben.de

Studium der Philosophie, Germanistik, Medien- und Kommunikationswissenschaften; seit 2001 in der Drehbuchentwicklung (u.a. als Dramaturg und Lektor bei Wüste Film, Hamburg); seit 2004 freiberuflicher Filmdramaturg und Drehbuchdozent; annähernd 300 Dramaturgie-Seminare und Stoffentwicklungs-Workshops; ca. 250 dramaturgische Beratungen von Autorinnen und Autoren; seit 2013 als Senior Consultant Storytelling im Experten-Netzwerk von die firma . experience design, Wiesbaden; Autor des Buches Fiktionales Schreiben – Geschichten erfinden, Schreiben verbessern, Kreativität steigern, Emons Verlag, Köln; sein Buch Das Storytelling-Handbuch: Inhalte professionell entwickeln erscheint im Frühjahr 2017 beim Midas Verlag, Zürich


Eine der Hauptschwierigkeiten beim Entwickeln und Erzählen einer Geschichte besteht darin, aus der riesigen Fülle von Ideen und den Möglichkeiten an Figuren, Konflikten, Handlungen, Themen, Ereignissen, Szenen und Dialogen die „richtigen“ auszuwählen und die „falschen“ wegzulassen. Die Kriterien, an denen sich Autorinnen und Autoren orientieren können, um diese Entscheidungen zu treffen, lassen sich mit dem Begriff Erzählökonomie bezeichnen: Welche dramatischen Elemente braucht eine Geschichte, um erzählt und als bedeutsames Ganzes verstanden zu werden? Und welche nicht?

WELCHE DRAMATISCHEN ELEMENTE BRAUCHT EINE GESCHICHTE, UM ERZÄHLT UND ALS BEDEUTSAMES GANZES VERSTANDEN ZU WERDEN? UND WELCHE NICHT?

Erzählökonomisches Arbeiten unterstützt Autorinnen und Autoren dabei, Klarheit über das zu gewinnen, was sie erzählen wollen, ihre Geschichten effizienter zu entwickeln und sich auf das erzählerisch Notwendige zu fokussieren. Dadurch vermeiden sie, ins Blaue abzudriften und Zeit zu verschwenden, den Erzählfaden zu verlieren und unnötig herumzueiern, die Geschichte irgendwann entsorgen zu müssen oder ein oberflächliches, nichtssagendes Heititeiti zu erzählen, das niemanden interessiert.

Filmisches Erzählen ist in genau diesem Sinne ökonomisch – Ausnahmen bestätigen natürlich das Gegenteil –, da Aus- und Abschweifungen hier schnell dazu führen, dass das Publikum nicht mehr folgen kann, weil es die Geschichte nicht versteht oder schlimmer noch: langweilig findet. Das hat mit den spezifisch filmischen Rezeptionsgewohnheiten und -bedingungen zu tun. Schauen funktioniert anders als Lesen. Man nimmt eine andere Haltung ein. Dennoch ist Erzählökonomie auch für Prosa-AutorInnen ein relevantes Thema.

Ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry drückt sehr schön aus, was Erzählökonomie meint: Perfektion entsteht nicht, wenn nichts mehr hinzuzufügen ist, sondern wenn man nichts mehr entfernen kann.

Dramatische Relevanz
Dieses Zitat ist gewissermaßen das Mantra der Erzählökonomie, deren übergeordnetes Kriterium die sogenannte „dramatische Relevanz“ ist: Welche Elemente sind dramatisch relevant, müssen also erzählt werden, damit die Geschichte Sinn ergibt und verständlich wird? Es gibt einen einfachen Test, um die dramatische Relevanz eines Elements zu ermitteln: Man lässt dieses Element einfach weg und betrachtet die Auswirkungen: Wie verändert sich die Geschichte, wenn ich dieses Element nicht erzähle? Bricht sie zusammen und wird unverständlich, ist das Element dramatisch hochrelevant. Verändert sie sich nicht, ist es dramatisch irrelevant und kann weggelassen werden – egal wie interessant und/oder originell es ist. Denn nicht alles, was interessant und originell ist, muss auch relevant sein. Und dramatische Relevanz sollte immer über der Verliebtheit in die eigenen Ideen stehen:

In writing, you must kill your darlings, soll William Faulkner gesagt haben.

NICHT ALLES, WAS INTERESSANT ODER ORIGINELL IST, MUSS AUCH DRAMATISCH RELEVANT SEIN.

Um über dramatische Relevanz entscheiden zu können, braucht es Kriterien: Nach welchen Kriterien lässt sich entscheiden, welche dramatischen Elemente gebraucht werden, um eine Geschichte zu entwickeln und zu erzählen und welche nicht? Die Spielfilmdramaturgie liefert diese Kriterien für alle drei Dimensionen einer guten Geschichte: der charakterzentrierten Dimension, der konfliktbasierten und der werteorientierten.

Einige der zentralen Werkzeuge und Kriterien werde ich nun vorstellen:

Dramatisches Ziel und dramatische Frage
Wesentliche Voraussetzung für eine aktive Hauptfigur und einen interessanten Konflikt ist das dramatische Ziel der Hauptfigur: Sie will etwas, etwas in der äußeren Welt. Das dramatische Ziel ist ein „äußeres Wollen“. Es ist immer konkret in dem Sinne, dass am Ende der Geschichte eine Situation eintritt, in der eindeutig entschieden wird, ob die Hauptfigur ihr Ziel erreicht oder nicht. Glück kann also nicht das Ziel einer Hauptfigur sein, weil es zu abstrakt ist. Publikum und Leserschaft wissen nicht, wann genau dieser Zustand erreicht ist. Das Glück müsste also konkretisiert werden: Wann genau ist die Figur glücklich – oder glaubt, glücklich zu sein?

NUR WER WEISS, WAS DIE HAUPTFIGUR WILL, KANN WISSEN, WIE SIE HANDELT UND WELCHE IHRER HANDLUNGEN DRAMATISCH RELEVANT SIND

Der Kommissar will den Mörder überführen. Die Liebenden wollen zusammen sein. … In dem Spielfilm LITTLE MISS SUNSHINE – der erzählökonomisch betrachtet nahezu ideal entwickelt ist – wollen Olive und ihre Familie rechtzeitig in Kalifornien ankommen, damit Olive an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen kann.

Nur wer weiß, was die Hauptfigur will, kann wissen, wie sie handelt oder welche ihrer Handlungen für das Erzählen der Geschichte relevant sind.

Aus dem dramatischen Ziel ergibt sich die dramatische Frage, die immer die Grundform hat: Wird die Hauptfigur ihr Ziel erreichen? Sie wird am Ende der Geschichte beantwortet: ja, nein, ja aber, nein aber. Ja, die Hauptfigur bekommt alles, was sie will; nein, sie verliert alles; ja, sie bekommt es, aber anders als sie dachte; nein, sie bekommt es nicht, erhält dafür aber etwas viel Wertvolleres, von dem sie zu Beginn noch gar nichts wusste.

Die dramatische Frage erzeugt den grundlegenden Spannungsbogen einer Geschichte. Der Prozess ihrer Beantwortung hält unser Interesse aufrecht und steigert es nach Möglichkeit sogar. Die Antwort auf sie befriedigt unser Interesse.

Wird der Kommissar den Mörder überführen? Werden die Liebenden zusammenkommen? Wird es Olive und ihrer Familie gelingen, rechtzeitig in Kalifornien anzukommen und den Wettbewerb zu gewinnen?

Im Hinblick auf die Erzählökonomie sind nur die Handlungen dramatisch relevant, die die Hauptfigur ausführt, um ihr Ziel zu erreichen und die damit zur Beantwortung der dramatischen Frage beitragen, kurz: Alles, was die Figur tut, tut sie, um ihr Ziel zu erreichen. Ob sie sich in der Konsequenz ihrer Handlungen ihrem Ziel nähert oder sich von ihm entfernt, spielt dabei keine Rolle. Würde Olives Familie plötzlich eine Bank überfallen, dann könnte das zwar spannend sein, es wäre aber nicht dramatisch relevant, weil der Banküberfall nichts mit ihrem Ziel zu tun hat. Anders wäre es, wenn sie Geld bräuchte, um ihren Weg fortzusetzen, beispielsweise für Benzin.

Geht es um die handlungsbasierte Dimension einer Geschichte, ist die Frage „Versucht die Hauptfigur mit dieser Handlung ihr Ziel zu erreichen?“ also ein wichtiges Kriterium für dramatische Relevanz. Dieser Dimension liegt die Frage „Um was geht es?“ zugrunde. In einer guten Geschichte geht es jedoch nicht nur um etwas, vielmehr erzählt sie auch über etwas. Erst dadurch erhält sie Bedeutung:

Die werteorientierte Dimension
Gute Geschichten sind immer auch Wertediskurse. Sie unterstützen uns dabei, Antworten auf zwei existenzielle Fragen zu finden: „Wie soll ich leben?“ und „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“. Die zentralen dramaturgischen Werkzeuge in dieser Dimension einer Geschichte und damit Kriterien für ihre dramatische Relevanz sind: das inhaltliche Thema, das emotionale Thema, die zentrale Frage und die Aussage einer Geschichte.

GUTE GESCHICHTEN SIND IMMER AUCH WERTEDISKURSE.

Inhaltliches Thema
Inhaltliche Themen können sein: aktive Sterbehilfe, die alternde Gesellschaft, illegale Einwanderung, Drogen, Inklusion, Integration, Gewalt, Spionage, Unterdrückung, Überwachung, Selbstjustiz, Patchwork-Familien, der Kalte Krieg und so weiter. Sie können kultur- und gesellschaftsspezifisch sein. Das Thema „alternde Gesellschaft“ beispielsweise wird in Deutschland immer bedeutender, in Ländern mit jungen Bevölkerungen spielt es hingegen keine Rolle.

Aus dem inhaltlichen Thema ergibt sich die Handlungsebene einer Geschichte. Es kann noch so interessant sein – ohne emotionales Thema, das ihm zugrunde liegt, bleibt es leblos.

DAS INHALTLICHE THEMA KANN NOCH SO INTERESSANT SEIN – OHNE EMOTIONALES THEMA BLEIBT ES LEBLOS.

Emotionales Thema
Zu den emotionalen Themen gehören: Liebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Nähe, Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Loyalität, Vertrauen, Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Unversehrtheit, Respekt, Heimat, Identität, Anerkennung und ihre Gegenteile: Hass, Sklaverei, Unsicherheit, Chaos, Fremdbestimmung, Distanz, Einsamkeit, Verrat, Krankheit, Orientierungslosigkeit, Verachtung, Identitätsverlust, Ausgeschlossensein, Ablehnung.

Emotionale Themen sind universell, archetypisch, transhistorisch, transkulturell, funktionieren also unabhängig von Zeit- und (Kultur)raum. Hollywood-Filme sind nicht wegen ihrer Stars oder großen Budgets weltweit erfolgreich, sondern weil sie überall auf der Welt emotional „verstanden“ werden können. Aus dem emotionalen Thema ergibt sich die emotionale oder Beziehungsebene.

Die zentrale Frage
Die zentrale Frage einer Geschichte – nicht zu verwechseln mit der dramatischen Frage – stellt das inhaltliche und das emotionale Thema in Form einer Frage dar, die die Autorin oder der Autor mit der Geschichte beantworten will. Dramatische und zentrale Frage geben einer Geschichte Richtung. Die Antwort auf die zentrale Frage ist die Aussage der Geschichte.

Die Aussage der Geschichte ist das, was dem Publikum mitgeteilt werden soll. Jede Geschichte – sofern sie als sinnvolles Ganzes verstanden wird und alle Fragen, die sie aufwirft, beantwortet – trifft eine Aussage, vertritt also einen bestimmten Standpunkt zu den Themen, über die sie erzählt – ob die Autorin oder der Autor will oder nicht. Denn eine sinnvolle Geschichte ist ein kommunikativer Akt und jedem kommunikativem Akt liegt ein bestimmtes Thema zugrunde, zu dem Stellung bezogen wird.

JEDE GUTE GESCHICHTE VERTRITT EINEN BESTIMMTEN STANDPUNKT ZU DEN THEMEN, ÜBER DIE SIE ERZÄHLT – OB DIE AUTORIN ODER DER AUTOR WILL ODER NICHT.

In LITTLE MISS SUNSHINE geht es auf der Handlungsebene um das inhaltliche Thema Erfolg, um Gewinnen und Verlieren: Die Familie fährt nach Kalifornien, damit Olive den Wettbewerb gewinnt. Ihre Handlungen sind auf dieses Ziel ausgerichtet. Die Beziehungsebene erzählt von den emotionalen Themen Gemeinschaft, Familie, Zugehörigkeit: Zu Beginn der Geschichte ist die Familie kaputt. Nur Olive versteht sich mit allen gut, die anderen wollen nichts mehr miteinander zu tun haben, belügen sich, feinden sich an. Am Ende funktioniert die Familie wieder, ihre Mitglieder halten zusammen und stehen füreinander ein.

Die zentralen Fragen lauten „Was ist ein Gewinner?“ (inhaltliche Ebene), „Was macht eine gute Familie aus?“ (emotionale Ebene) und „Was macht glücklich: Erfolg oder Familie?“ (inhaltliche und emotionale Ebene, aus der sich die Zuspitzung des Wertekonflikts in Form eines Dilemmas ergibt). Die Aussagen des Filmes sind: „Ein Verlierer ist jemand, der so viel Angst vorm Verlieren hat, dass er es noch nicht einmal versucht. Ein Gewinner versucht es, egal ob er erfolgreich und der Beste ist oder nicht“, „Eine Familie funktioniert, wenn ihre Mitglieder zusammenhalten und füreinander einstehen“ und „Familie ist wichtiger als Erfolg“.

Wie hilft mir das alles nun in Sachen dramatische Relevanz? In der werteorientierten Dimension stellt man sich die Frage, ob ein bestimmtes Element die Themen, die zentrale Frage und die Aussage transportiert beziehungsweise spiegelt oder nicht: Transportiert dieses Element das inhaltliche oder das emotionale Thema? Stellt es einen Standpunkt dar? Zeigt es eine andere Perspektive auf? Trägt es zur zentralen Frage und ihrer Beantwortung bei? Lauten die Antworten auf diese Fragen „nein“, kann man auf dieses Element verzichten.

FIGUREN SIND TRÄGER THEMATISCHER STANDPUNKTE.

In der charakterorientierten Dimension helfen diese Werkzeuge (die zwei Themen, die zentrale Frage und die Aussage), die Figuren stimmig und effizient zu entwickeln. Und zwar, indem ihnen bestimmte Standpunkte zugeordnet werden und sie damit thematische Aspekte transportieren: Auf der Beziehungsebene in LITTLE MISS SUNSHINE steht die Mutter für das positive Bild einer funktionierenden Familie („Wir sind eine Familie, und was immer auch geschieht, wir lieben uns, und das ist das allerwichtigste“). Der Sohn steht für die Negation von Familie, indem er mit seinem anfänglichen Schweigegelübde seinen Hauptkanal für Kommunikation verschließt – bis er dann doch irgendwann lauthals zum Ausdruck bringt, was er denkt und fühlt: „Ihr seid nicht meine Familie, ich will überhaupt nicht zu eurer Familie gehören, ich hasse euch: Geschieden, Selbstmord, Bankrott. Ihr seid Verlierer, beschissene Verlierer.“ Womit dieser Dialog nicht nur das emotionale, sondern zugleich das inhaltliche Thema bedient. Das ist gute Dialogarbeit.

Auf der Handlungsebene steht der Vater für das Thema Erfolg: Er hat ein Neun-Stufen-Konzept entwickelt, das garantierten Erfolg verspricht, ist damit jedoch selbst erfolglos. Er denkt an nichts anderes als an Erfolg und er spricht von nichts anderem. Seine Weltsicht ist klar definiert und unterscheidet zwischen „zwei Arten von Menschen: Gewinnern und Verlierern.“ Der Opa und der Onkel stehen für das Thema Verlieren: Der Opa hat in seinem Leben nie etwas auf die Reihe bekommen und fliegt sogar aus dem Pflegeheim. Der Onkel hat seine Liebe, seinen Job, seine Wohnung und seinen sozialen Status verloren und wollte sich deshalb das Leben nehmen.

Dass die Figuren als Familie wieder zusammenwachsen müssen, um glücklich zu werden, ist nicht der Grund, warum sie aufbrechen, warum sie aktiv werden. Aber es ist das, was sie am Ende bekommen: Sie gewinnen sich als Familie wieder, nachdem jeder einzelne zuvor alles verloren hat. Auf diese Weise sind inhaltliches Thema und emotionales Thema, Handlungsebene und Beziehungsebene miteinander verknüpft.

Fehlt Figuren der Bezug zu den Themen, der zentralen Frage und der Aussage einer Geschichte, wirken sie willkürlich und bleiben oberflächlich – egal, wie detailliert ihre Biografie ausgearbeitet ist und ob die Autorinnen und Autoren sogar wissen, welche Zahnpasta ihre Figuren benutzen. Insbesondere hier – in der Figurenentwicklung – sind dramatische Relevanz und Erzählökonomie von großer Bedeutung. Eine Figur zu entwickeln – ihre physiologische, soziologische und psychologische Dimensionen und ihre Biografie – macht zwar Spaß. Es kann aber auch schnell zu einer perfiden Vermeidungsstrategie werden: Man wähnt sich produktiv, tatsächlich vermeidet man jedoch, die Geschichte weiterzuentwickeln. Mit den Kriterien der dramatischen Relevanz können sich Autorinnen und Autoren immer selbst hinterfragen, ob sie gerade produktiv sind oder nur so tun.

FEHLT FIGUREN DER BEZUG ZU DEN THEMEN, DER ZENTRALEN FRAGE UND DER AUSSAGE EINER GESCHICHTE, WIRKEN SIE WILLKÜRLICH UND BLEIBEN OBERFLÄCHLICH.

Inhaltliches Thema, emotionales Thema, zentrale Frage und Aussage sind außerdem wesentliche Elemente der sogenannten Erzählintention. Mit „Erzählintention“ sind folgende Fragen gemeint: Warum will ich dieses Thema bearbeiten, diese Idee entwickeln, diese Geschichte erzählen? Was interessiert mich daran? Welche gesellschaftliche Dimension und Relevanz hat das Thema? Was will ich dem Publikum oder den Lesenden mitteilen? Was sollen sie über das Thema lernen? Woran können sie sich reiben?

Story Molecule: Handlungswelt, Beziehungswelt und Innenwelt
Wie der Charakter einer Figur sich entwickelt ist nachvollziehbar, wenn ihre Entwicklung dynamisch gestaltet ist, sich also Schritt für Schritt vollzieht, und nicht lediglich am Ende behauptet wird. Schritt für Schritt heißt, dass sich Ereignisse in der Außenwelt auf die Innenwelt der Figur auswirken und diese Auswirkungen wiederum rückwirkend die Handlungen der Figur und ihre Beziehungen beeinflussen. Ein hervorragendes Werkzeug, um diese wechselseitige Beeinflussung der drei Welten und Konfliktebenen einer Figur – der äußeren Welt der Handlungen, der emotionalen Welt der Beziehungen und der inneren Welt der Identität – zu gestalten, ist das Story Molecule. Es führt Plot und Figur zu einer dramatischen Einheit zusammen.

GUTE GESCHICHTEN SPIELEN IN DREI WELTEN: DER HANDLUNGSWELT, DER BEZIEHUNGSWELT UND DER INNENWELT.

Visualisiert wird es als drei ineinander liegende Kreise, die jeweils für eine Welt stehen: Der äußere Kreis stellt die äußere Welt dar, der mittlere Kreis die Beziehungswelt und der innere Kreis steht für die innere Welt. Mit dem Story Molecule lassen sich diese drei Welten entwickeln und in Beziehung zueinander setzen. Autorinnen und Autoren können es nutzen, um die Entwicklung ihrer Figur nachvollziehbar und dynamisch zu gestalten. Außerdem können sie mit ihm überprüfen, ob eine Geschichte in allen Welten spielt, eine dieser Welten beispielsweise zu dominant ist oder eine überhaupt nicht erzählt wird, und sie können festlegen, welche Fragen sich in ihnen für das Publikum und die Lesenden stellen: In welchen Welten spielt die Geschichte? Welche Fragen stellen sich in der Außen-, Innen- und Beziehungswelt? Habe ich in einem dieser Bereiche zu viele oder noch keine Fragen? Erzählt meine Geschichte mehr im Äußeren, auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen oder im Inneren der Figur? In welchen Szenen werden diese Fragen thematisiert?

In jeder dieser Welten stellt sich zudem eine richtungsgebende Hauptfrage, die für die dramatische Relevanz von Bedeutung ist. In LITTLE MISS SUNSHINE geht es in der äußeren Welt um die Fragen, ob die Familie rechtzeitig in Kalifornien ankommt und Olive den Wettbewerb gewinnen wird. In der Beziehungswelt lautet die Hauptfrage, ob die Familie wieder zu einer funktionierenden Gemeinschaft wird. In der inneren Welt stellt sich die Frage, ob die Familienmitglieder ihre Abneigungen gegeneinander ablegen, sich wieder vertrauen et cetera. Im Idealfall wirkt sich ein dramatisches Element auf alle drei Welten aus. Denn in gut entwickelten Geschichten wird nicht nur von allen drei Welten erzählt, vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig.

SIND DIE DREI WELTEN STATISCH, GIBT ES IM GRUNDE NICHTS ZU ERZÄHLEN, DANN IST DAS, WAS ERZÄHLT WIRD, LANGWEILIG.

Die dramatische Relevanz kann entsprechend mit folgenden Fragen überprüft werden: Verändert ein Ereignis in der äußeren Welt die Beziehungen der Figur zu anderen Figuren und ihr Innenleben? Wirkt sich eine Veränderung in der Beziehungswelt auf das Innenleben der Figur aus und lässt sie in der äußeren Welt anders handeln? Beeinflusst eine Veränderung in der Innenwelt der Figur ihre Beziehungen zu anderen Figuren und ihr Handeln in der äußeren Welt? Positive Antworten auf diese Fragen verleihen diesen drei Welten Dynamik. Sind sie nicht dynamisch, sondern statisch, gibt es im Grunde nichts zu erzählen, dann ist das, was erzählt wird, langweilig.

Fazit
Erzählökonomie und dramatische Relevanz sind keine Gesetze, denen Autorinnen und Autoren folgen müssen, um am Ende des Tages eine gute Geschichte in Händen zu halten. Sie verbieten nicht, eine Geschichte beliebig auszuschmücken, Anekdoten aus der Vergangenheit einer Figur zu erzählen, Neben- und Umwege zu beschreiten. Allerdings sollte man vorher genau wissen, was die Geschichte tatsächlich braucht, um zu funktionieren und verstanden zu werden.

WENN SICH AUTORINNEN UND AUTOREN NICHT KLAR DARÜBER SIND, WAS SIE EIGENTLICH ERZÄHLEN WOLLEN (UND WARUM), WIE SOLLEN ES DANN DAS PUBLIKUM UND DIE LESERSCHAFT SEIN?

Und hierbei helfen die Kriterien der dramatischen Relevanz. Sie unterstützen Autorinnen und Autoren dabei, eine Geschichte effizient zu entwickeln und fokussiert zu erzählen. Vor allem aber können sie mit ihnen eine größere Klarheit über das gewinnen, was sie erzählen wollen. Und eine solche Klarheit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Geschichte. Denn wenn sich Autorinnen und Autoren nicht klar darüber sind, was sie eigentlich erzählen wollen (und warum), wie sollen es dann das Publikum und die Leserschaft sein?

Dieser Text ist in leicht veränderter Form zuerst in der AutorInnen-Zeitschrift Federwelt Nr. 113, August / September 2015 erschienen.

Heute geht es um das Thema Prologe, wozu sie gut sind, was einen Prolog kennzeichnet und welche Funktionen sie in einer Geschichte übernehmen können.

Vor einigen Tagen entwickelte sich ein harmloser Tweet zu einer ungeahnten Diskussion.

Dabei ging es um die Frage, ob ich in meine Geschichte einen Prolog einbauen sollte, oder nicht.

Als ich den Tweet schrieb wusste ich nicht, dass Prologe so die Gemüter erhitzen.

Zum ersten mal seit ich schreibe und mich mit Filmen beschäftige, hörte ich, dass Prologe in Schreibratgebern verpönt seien. Möglicherweise habe ich die falschen (oder genau die richtigen) Schreibratgeber gelesen, aber das kannte ich bis dahin nicht. Entsprechend überrascht habe ich reagiert und in mir wuchs der Wunsch, einen Blogbeitrag zu diesem Thema zu verfassen.

Ich beginne zunächst einmal mit der Frage, wieso ich mich, obwohl es zu Beginn nicht vorgesehen war, dazu entschieden habe, einen Prolog in meine Geschichte einzubauen.

Aktuell bin ich etwa in der Mitte meiner Story und stellte fest, dass ich die Motivation meines eignen Helden

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zunehmend unglaubwürdig fand. Ich selbst kannte sie natürlich, aber mir war bewusst, dass es meinen Lesern anders gehen würde. Also entschloss ich mich, einen Prolog voran zu stellen um genau diese deutlich zu machen. Wieso? Weil ein Kern der Motivation in der Kindheit meines Helden liegt, die Geschichte aber in seinem jungen Erwachsenenalter spielt.

Dieses Vorgehen ist nicht selten. Beispiel? Findet Nemo oder auch Batman. Gerade bei letzterem wird das Ereignis in seiner Kindheit immer wieder der eigentlichen Geschichte voran gestellt.

Wieso also sollte das böse sein?

Ich vermute, es liegt daran, dass junge Autoren dazu neigen, zu langsam in die eigentliche Geschichte einzutauchen. Wenn nach einem Prolog noch ein 50 Seiten erster Akt folgen und das Inciting Incident erst auf Seite 70 auftaucht, haben 95% der Leser das Buch gelangweilt zu Seite gelegt.

So weit, so gut. Aber Prologe sind ein Stilmittel, also wann nutzt man sie?

Nach ein wenig Recherche fand ich heraus, wie im deutschsprachigen Raum das Verständnis von Prologen ist und es lautet laut Wikipedia so:

Ein Prolog ist eine Einleitung, Vorrede oder auch ein Vorwort. Bekannt für seine Vorworte war beispielsweise Erich Kästner, der seinen „heiteren Romanen“ für Erwachsene gern ein ausführliches, ironisches und teilweise selbstkritisches Vorwort voranstellte.

Nach dieser Definition stimme ich zu. Einen Prolog, der die Stellungnahme des Autors zum folgenden Text beinhaltet wäre für mich der erste Grund, ein Buch zu Seite zu legen. Das liegt daran, dass ich Unterhaltungsliteratur schreibe.

Das ist aber, zum Glück, keine allgemeingültige Definition.

Dan Wells hat den „Ice Monster Prologue“ sogar zu einem Bestandteil seines 7-Punkte-Systems gemacht. Sein Argument: Den Leser packen und klar machen, das noch etwas kommt, auch wenn die Geschichte jetzt etwas ruhiger wird.

Ich habe meine Definition von Prologen von Ratgebern aus Hollywood. In Filmen sind Prologe ein relativ normales Stilmittel und auf diese Grundlagen möchte ich nun eingehen.

Was macht einen Prolog zu einem Prolog?

Die Grundlegende Struktur eines Prologs liegt darin, dass er

  1. in sich geschlossen ist und
  2. keine kausale Auswirkungen auf die eigentliche Geschichte hat
  3. und somit außerhalb des eigentlichen Plots steht

Das bedeutet – und daher kommt möglicherweise die Ablehnung gegen Prologe – er kann gestrichen werden, ohne

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dass es Auswirkungen auf die eigentliche Geschichte hat. Die Dinge, die in dem Prolog auftauchen, können beispielsweise über Dialoge in die Geschichte eingebaut werden.

Die Struktur kann dabei eine kurze Szene enthalten, etwa wie in „Jäger des verlorenen Schatzes“, in der Indy von einem riesigen Steinball verfolgt wird, oder sie kann einen ganzen Subplot entwickeln.

Beispiel: Rocky 1.

Im Prolog von Rocky 1 passieren eine ganze Reihe Dinge. Wir sehen Rocky, der sich selbst einen Loser nennt, wie er Geld für einen Kredithai eintreibt, Toiletten in einem Boxer-Gym putzt und Schildkröten in einem Zoogeschäft kauft, wo er Adrian trifft und sich in sie verliebt.

Die eigentliche Story beginnt, wenn der Gegner des Schwergewichtschampions Apollo Creed sich die Hand bricht. Statt den Kampf zu vertagen, entscheidet Apollo Creed sich für einen Marketing-Gag und will einem Nobody die Chance geben, gegen ihn anzutreten.

Er sucht sich Rocky aus. Das ist der Auslöser, das Inciting Incident der Story. Alles davor könnte gestrichen werden, aber es hätte erheblichen Einfluss auf unsere Empathie mit der Hauptfigur. In Rocky haben wir eine Vermischung von Akt 1 und Prolog, aber kennzeichnend ist, dass es keinen Kausalzusammenhang gibt.

Das ist auch ein guter Test für jeden ersten Akt, den wir schreiben: Selbst wenn ich mich in Akt 1 befinde, führt das was der Held tut dazu, dass er auf das auslösende Ereignis zusteuert, oder haben wir es mit völlig losgelösten Ereignissen zu tun?

In Alien zum Beispiel haben wir einen ersten Akt, in dem Stimmung, Genre und Thema etabliert werden. Aber alles was passiert, führt direkt zum auslösenden Ereignis. Es kann nicht gestrichen werden, ohne Einfluss auf die Geschichte zu nehmen und ist deswegen ein erster Akt statt eines Prologs.

Welche Funktionen hat ein Prolog?

Robert McKee spricht von 11 unterschiedlichen Funktionen, die ein Prolog erfüllen kann.

1. Er liefert Exposition

Durch einen Prolog kann verhindert werden, dass ungeliebte Flashbacks und lahme Dialoge benötigt werden, in denen sich die Figuren nur Dinge erzählen, die sie ohnehin schon wissen. Klingt logisch? Kommt aber doch immer wieder vor.

Es gibt zwei grundlegende Arten, Exposition in eine Geschichte einzubringen, nämlich

  • so spät wie möglich. Liefere Exposition erst, wenn das Publikum sie unbedingt braucht
  • wenn du sie bringst, dann liefere sie dramatisch, damit das Publikum gar nicht merkt, dass du gerade Exposition ablieferst.

Gelingt beides nicht ohne dass Du die gesamte Story umschreiben musst, könnte ein Prolog die Lösung sein.

So kann eine früh aufbereitete Exposition durch die ganze Story hindurch scheinen, ohne jemals wieder erwähnt zu werden. Beispielsweise wäre jedem klar ist, dass ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit dem Protagonisten noch heute Probleme bereitet. Der Film Copykill beginnt mit dem Mordanschlag auf die Protagonistin und er ist der Grund dafür, dass sie später das Haus nicht mehr verlässt.

2. Stimmung erschaffen

Durch den Prolog kann eine grundlegende Stimmung geschaffen werden. So kann bei einem Stück, das als Komödie startet, aber durchaus etwas derber ist, schon im Prolog klar machen: Hier wird niemandem weh getan, du darfst

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lachen, auch wenn das manchmal böse aussieht. Schon Shakespear nutzte in The Taming of the Shrew diese Technik.

3. Ein einzigartiges Setting etablieren

Manche Geschichten spielen in einer gewöhnungsbedürftigen Umgebung. Das können Traumwelten sein, Fabelwelten oder andere fremdartige Umgebungen, die dem Zuschauer nicht auf Anhieb zugänglich sind. Um das Setting zu etablieren, kann der Prolog herhalten.

4. Variabilität einführen

Beispiel Casablanca. Die ersten 30 Minuten des Films sind Prolog, bevor das auslösende Ereignis eintritt. Diese 30 Minuten liefern Action, politisches Drama, komödiantische Elemente bevor schließlich die eigentliche Love Story beginnt. Es ist klar, dass diese Story mehrere Elemente enthält.

5. Interesse wecken

Wie im Ice Monster Prolog angeführt. Interesse beim Zuschauer wecken für das, was noch kommt.

6. Rekapitulieren

Wird eigentlich nur bei horizontal erzählten Serien verwendet, wie beispielsweise 24 oder Revenge. Beginnt mit dem allseits bekannten „was bisher geschah“. Für Romane eher ungeeignet, wobei bei Tad Williams Shadowmarch-Serie eine solcher Prolog vorangestellt wurde, um das bisher geschehene noch einmal in Erinnerung zu rufen. Mir hat es nicht gefallen, da diese Art Prologe eher schlichte Wiedergaben sind und keinerlei Dramaturgie aufweisen.

7. Set Up für zukünftige Payoffs

Es werden, oftmals im Subtext versteckt, Set Ups gesetzt, die später in der Story genutzt werden. Auch hier als Beispiel Casablanca und Rick Blaines „I stick my neck out for nobody“ und schon klar ist, dass er dieses Versprechen nicht wird halten können.

8. Einen Rahmen für die Story bieten

Es gibt verschiedene Techniken, wie man eine Geschichte beginnt und beendet. Eine dieser Techniken ist das sogenannte „Framing“, also das umrahmen einer Geschichte durch zwei Events. Hierbei wird im Epilog der Prolog mit den dann gültigen Bedingungen gespiegelt um der Geschichte einen befriedigenden Abschluss (bedeutet nicht Happy End!) zu bieten. Meiner Meinung nach schwer zu handhaben, aber eindrucksvoll wenn es gut gemacht ist.

9. Dramatische Ironie entwickeln

Dramatische Ironie bedeutet, das Publikum weiß etwas, dass der Protagonist noch nicht weiß. Es gibt Prologe, die mit einem Event im Leben des Protagonisten anfangen und die eigentliche Geschichte zu einem gigantischen Rückblick machen. Beispiel: Ghandi beginnt mit dem Anschlag auf Ghandi. Boulevard der Dämmerung beginnt mit dem Tod des Protagonisten, Joe Gillis.

Diese Technik dient dazu Empathie mit dem Protagonisten aufzubauen und das Leiden zu verstärken, denn egal was er versucht, wie er sich anstrengt, wir wissen bereits was passiert und hoffen doch so sehr, dass es anders kommen möge.

10. Entwickelt einen Setup Sub-Plot

Siehe Rocky oder auch Predator mit Arnold Schwarzenegger. Zu Beginn des Films landet das Rettungskommando im Dschungel, erledigt den Auftrag, mäht alles um und befreit eine Geisel. Erst danach beginnt das Alien auf die Gruppe Jagd zu machen, der Subplot „Befreiung der Geiseln“ ist vor dem auslösenden Ereignis abgeschlossen.

11. Just for the Laughs

Eine Komödie funktioniert, wenn das Publikum lacht. Deswegen ist es in Komödien erlaubt und durchaus üblich, einen von der Story unabhängig Prolog zu bringen, bei dem der Zuschauer vor Lachen vom Stuhl fällt. Einfach um klar zu machen, dass das jetzt witzig wird und das Zwerchfell zu entspannen.

Ein Prolog hat also durchaus seine Daseinsberechtigung, wenn man ihn sinnvoll einsetzt.

Wie handhabt ihr es? Mögt ihr Prologe? Verzichtet ihr drauf? Wieso?

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Wer es noch nicht wusste: Ich bin Fußballfan. Als geborener Dortmunder wurde mir das in die schwarz-gelbe Wiege gelegt. Ich habe zehn Jahre lang eine Dauerkarte besessen und mehr als ein Wochenende im Westfalenstadion verbracht.

Ich erinnere mich an Spiele, die sich eingebrannt haben, als hätte man mir ein Brandeisen ins Gehirn gedrückt. Der BVB gegen Malaga, ein 3:3 des BVB gegen Schalke. Ein 3:2 gegen die Bayern in den 90ern. Ein 1:1 gegen Hoffenheim und ein 4:4 gegen Stuttgart, der BVB gegen Rom im UEFA Pokal, gegen Juventus Turin im Finale der Champions League.

In all diesen Spielen gingen die  Emotionen wie in einer Achterbahn auf und ab, von einem Moment zum nächsten. Mit Herzrasen, Schweiß auf der Stirn und allem, was dazu gehört.

Aber das hier ist ein Autorenblog, wieso spreche ich über Fußball?

Die Antwort ist simpel: Was treibt jedes zweite Wochenende 80.000 Menschen dazu, ihr sauer verdientes Geld auszugeben um elf Männer dabei anzugucken wie sie gegen einen Ball treten?

Ich weiß, diese Frage stellen sich einige von euch.

Du wirst Dich wundern, es sind nämlich die gleichen Dinge die Deine Leser dazu bringen, Dein Buch zu Ende zu lesen.

Wat??– fragt der geneigte Ruhrpottler an dieser Stelle. Ich werde Dir das verdeutlichen, zunächst eine kurze Rechnunge dazu:

Eine Bundesligasaison hat 34 Spieltage plus Pokalspiele. Ich bin BVB Fan seit ich etwa zehn Jahre alt bin, das macht 26 Jahre á ca. 40 Spiele.

Ich habe in meinem Leben also deutlich über eintausend Fußballspiele meiner Lieblingsmannschaft gesehen. Davon habe ich bestimmt neunhundert wieder vergessen. Einige Spiele waren einfach grausam, andere okay oder auch gut, aber der Gegner war zu schwach oder das Ergebnis war einfach „erwartungsgemäß“. Einige wenige Spiele wurden zu Legenden.

Um meine kühne Behauptung von oben zu untermauern, nehme ich exemplarisch das Spiel Borussia Dortmund gegen FC Malaga aus der Saison 2012/13.

Was hat dieses Spiel mit Deinem Buch zu tun?

Wir beginnen am Anfang. Du stehst in der Bücherei oder an der Kinokasse. Welches Buch hole ich mir? Welchen Film schaue ich mir an? Du drehst das Buch herum und liest Dir den Klappentext durch und instinktiv weißt Du, ob das Buch etwas für Dich ist, denn als erstes schaust Du nach:

Dem Genre

Wenn ein spanischer Spitzenclub gegen einen deutschen Aussenseiter im Finale der Basketball Championsleague steht, habe ich fast die gleichen Voraussetzungen wie sie das kommenden Beispiel liefern wird. Nur etwas fehlt: Die Sportart interessiert mich nicht.

Jojo Moyes und Cecilia Ahern schreiben vielleicht tolle Bücher. Trotzdem werde ich ihnen womöglich nie die Chance geben, mich zu fesseln. Ich greife eher zu Heitz, Fitzek, Nesbo.

Der Klappentext verrät mir schon, worum es geht. Schlachten? Geil. Sadistische Mörder? Her damit! Was zieht mich an? Die Antwort:

Das Setting

Wir befinden uns im Viertelfinale der Champions League. Das ist die höchste Spielklasse des

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europäischen Vereinsfußballs. Es geht um Image und um viel, viel Geld. Wir haben das Rückspiel, welches in Dortmund stattfindet. Es gab ein Hinspiel, welches 0:0 ausging.

Im europäischen Pokal ist es so, dass ein Tor einer Auswärtsmannschaft doppelt zählt. Am Ende dieses Tages wird es einen Sieger und einen Verlierer geben. Ein Unentschieden ist nicht möglich, denn es würde sonst bis zum Elfmeterschießen weiter gespielt. Malaga genügt also ein 1:1, während der BVB gewinnen muss.

Damit haben wir Grundlagen, die auch für Deine Geschichte wichtig sind.

Das böse intergalaktische Imperium kontrolliert die Galaxis. Die Rebellen haben die Pläne des Todessterns, der ultimativen Waffen, erbeutet.

Ein hungriger weißer Hai terrorisiert einen kleinen Badeort und verspeist die Touristen. Ein Sheriff der Angst vor Wasser hat stellt sich der Aufgabe.

Okay. Das Setting gefällt mir. Aber es genügt nicht, dass das Spiel im Westfalenstadion stattfindet. Es muss auch die richtige Mannschaft darin spielen. Oder anders gesagt:

Ich habe Sympathie mit einem der Beteiligten

Malaga ist bestimmt eine schöne Stadt. Ich mag Spanien und ich mag Spanier. Aber an diesem Abend waren sie die Bösen, die es aus dem Weg zu räumen galt.

Ich persönlich bin unentschlossen, ob es wirklich Sympathie sein muss, oder ob Empathie nicht viel passender ist. Die Figur kann ein Arschloch sein, ich muss nur aus irgendeinem Grund mit ihr mitfühlen. Siehe Greg House oder Francis Underwood.

Im Fußball sind die Gründe dafür anders als in Geschichten, zumindest zum Teil. Aber so unterschiedlich dann doch nicht. Es gibt folgende Aspekte, die sich ähneln:

Ich bin BVB Fan, weil ich hier geboren bin – Ich habe Sympathie mit den Figuren des Ruhrgebietskrimis, weil ich hier geboren bin.

Ich bin Fan des FC Bayern, weil ich auf schönen und erfolgreichen Fußball stehe – ich mag Chuck Norris, weil ich es toll finde, wie elegant er seine Gegner fertig macht.

Ich bin Fan vom FC Schalke, obwohl wir seit über 50 Jahren keine Meisterschaft feiern durften – Ich liebe Harry Potter, weil er mir am Anfang so leid tut, wie er da unter seiner Treppe lebt (sorry liebe Schalker, das musste sein ;-))

Im Fußball wie auch im Roman hat der Underdog häufig viele Sympathien. Aber das alleine reicht nicht, sonst könnte ich mir die sympathischen Leute ja auch auf dem Trainingsgelände anschauen, statt ins Stadion zu rennen.

Was also noch?

Es steht etwas auf dem Spiel

Der Einzug ins Halbfinale. Es fehlen noch drei Spiele bis zum großen Sieg. Das ist kein Freundschaftsspiel, in dem es egal ist wer gewinnt. Es geht um Geld, Image, Selbstvertrauen.

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Gelingt es den Rebellen nicht die Pläne des Todessterns zu verstecken, wird die ganze Galaxis unterjocht.

Gelingt es Harry nicht Voldemort zu stoppen, wird er die in seinen Augen minderwertigen Muggel ausrotten

Ja, das klingt wichtig. Und bringt uns direkt zum nächsten Punkt. Wenn nur eine Mannschaft auf dem Spielfeld steht, ist das öde, denn zu einer guten Geschichte gehört:

Zwei Parteien wollen ein und dasselbe und der jeweils andere hindert ihn daran, sein Ziel zu erreichen.

Hier gibt es einen Sieger. Keine Kompromisse, keine Übereinkunft am Ende. Einer gewinnt, einer verliert. Der BVB kann sich nicht mit Malaga das Geld teilen und beide kommen weiter.

Die Rebellen können nicht mit dem Imperium einen Deal machen und so die Galaxis retten. Harry kann Voldemort nicht überzeugen, einfach aufzuhören, böse zu sein.

Im Fußball gibt es sogenannte Fernduelle. Die Mannschaften spielen nicht direkt gegeneinander, sondern gegen andere Gegner, aber es geht um Punkte, die dort geholt werden. Auch spannend, aber nicht so, wie ein direkter Vergleich.

Der Konflikt findet unmittelbar an ein und demselben Ort statt.

Es gibt jetzt 90 bzw 120 Minuten um zu klären, wer gewinnt. Im direkten Vergleich. Die Spannung ist ungleich dichter, als wenn erst der BVB antritt und eine Woche später der Gegner ;-)

Aristoteles spricht von der Einheit von Handlung und Zeit. Kein Muss, aber es schadet der Spannung nicht.

Man kann es auch kurz fassen. Der Drehbuchlehrer Dan Decker schreibt dazu:

„When two (or more) people want something from each other that they cannot have, right here and right now, you have drama“
Was brauchen wir sonst noch? Bis jetzt haben wir „nur“ die Rahmenbedingungen. Dabei hat noch niemand gegen den Ball getreten.

Allein dieses Wissen und es genügt, um mich ins Stadion zu ziehen, mich zu „verkleiden“ und fröhlich singend zu 80.000 anderen zu quetschen. Ich komme nicht vernünftig an Getränke, zahle für alles den dreifachen Preis und muss mich auf dem Rückweg in eine überfüllte Bahn drängen.
Tatsächlich war ich aufgeregt, aber nicht so sehr, wie das Spiel im Nachhinein glauben lässt. Der BVB hatte in den Jahren davor 2 Meisterschaften und einen DFB-Pokal gewonnen und war in guter Form. Malaga hingegen hatte Probleme mit einem Finacier der abgesprungen war und viel Unruhe im Umfeld des Vereins. Schon im Hinspiel hatte der BVB das Spiel klar in der Hand und scheiterte nur an den eigenen vergebenen Chancen. Zudem war Dortmund als einziges Team noch ohne Niederlage in der laufenden Championsleague Saison.

Es sprach also eigentlich alles für einen Sieg des BVB und entsprechend war meine Haltung.

Was bedeutet das für eine Geschichte? Was hat aus diesen nur mäßigen Rahmenbedingungen ein Spiel für die Ewigkeit gemacht? Veränderung.

Das „Inciting Incident“

Um eine Geschichte in Fahrt zu bringen, braucht es Veränderungen. Eine IST Situation, die sich in irgendeiner Form ändert. Auch hier scheiden sich die Geister, ob man das wirklich braucht, aber meiner Erfahrung nach gibt es immer einen Anstoß. Es gibt allerdings Geschichten, bei denen der Anstoß VOR der Geschichte stattfindet, so dass er aus der reinen Erzählung ausgespart bleibt.

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In meinem Fall war es die Erwartungshaltung. 80.000 Fans gingen davon aus, dass der BVB relativ elegant im eigenen „Tempel“ gewinnen würde. Auf dem Papier war man der Favorit.

Malaga wusste jedoch auch um was es ging. Aus Sicht der Spanier war man der Underdog, die Sensation rief und man machte es den Borussen schwer.

Robert McKee kennzeichnet einen Konflikt als „eine Kluft zwischen Erwartung und Ergebnis“. Ich nehme ein Telefon und rufe meine Freundin an. Ich erwarte, dass sie ran geht. Stattdessen meldet sich eine fremde Männerstimme und sagt mir, dass ich sie nicht sprechen kann. Da könnte man schon mal nervös werden…

Also auf in den 1. Akt. Das Spiel beginnt mit dem Anstoss.

Die Dortmunder Mannschaft kam von Beginn nicht gut in das Spiel. Sie war nervös und fahrig. Insgesamt hatte der BVB zwar einige Erfahrung, aber International war der BVB eine unbekannte. Noch in der letzten Saison schied man als Gruppenletzter in der Vorrunde aus.

Der Gegner (Antagonist) aus Malaga war aggressiv und nichts funktionierte, wie es sollte.

Der BVB spielte 25 Minuten lang nach vorn, fand jedoch kein Mittel das Tor zu treffen. Es gab Chancen, aber nichts Zwingendes.

Dann schoss Malaga das erste Mal aufs Tor…

… und traf in der 25. Minute.

Es ist übrigens herrlich Drehbuchreif. Die Teams haben sich bei diesem Spiel sogar daran gehalten hat, die Akte in etwa einzuhalten. 25 Minuten bei einem 90-Minuten Spiel entspricht etwa dem Ende des ersten Aktes.

Dank des ersten Aktes wissen wir: Der BVB ist nicht in Topform und der Antagonist ist gewillt alles zu geben. Nun das 0:1 und somit das „auslösende Ereignis“.

Streng genommen ist bei einem Fußballspiel das auslösende Ereignis natürlich der Anstoß. Allerdings gehört dieser zum Spiel dazu und wäre eher als Inciting Incident geeignet, wenn er NICHT kommen würde (Erwartung/Ergebnis). Aus diesem Grund habe ich in diesem Fall den großen Bruch mit der Erwartung (Sieg BVB) als Inciting Incident genommen. Dass man 25 Minuten schlecht spielte ist nicht so schlimm, solange man trotzdem ein Tor schießt. Aber jetzt standen die Zeichen auf Sturm.

Die nächsten 13 Minuten torkelte der BVB wie ein angeschlagener Boxer über das Spielfeld. Die Einsätze waren klar. Es konnte keine Verlängerung mehr geben, denn Auswärtstore zählen doppelt. Durch das 0:0 im Hinspiel war ein Sieg in der regulären Spielzeit nun die einzige Möglichkeit, weiterzukommen.

Die Spannung stieg, die Einsätze waren noch einmal erhöht. Genügte bis eben noch ein Tor um weiter zu kommen, müssen es jetzt zwei sein.

Die ticking Clock

Ein Spiel dauert 90 Minuten. In der Liga können sich Teams unentschieden trennen. Im Pokal können sie es unter bestimmten Bedingungen schaffen, in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen zu gehen, wo es mehr auf Glück ankommt. Das wird gerne von schwächeren Mannschaften versucht, um die technischen Nachteile auszugleichen.

Das geht jetzt nicht mehr. Der BVB hat noch 65 Minuten um mindestens zwei Tore zu schießen. Noch

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klarer kann man ein dramatisches Ziel nicht formulieren.

Agent Bauer hat noch 16 Stunden um den Attentäter zu finden und den Anschlag auf den Präsidenten zu verhindern.

Kurz vor Mitte des zweiten Aktes  taucht der damalige Borusse Robert Lewandowski vor dem Torwart auf. Marco Reus spielt ihm per Hacke zu und der Pole umspielt den Torwart mit seiner ganzen Klasse. Das war der BVB, wie wir ihn erwartet hatten. Technisch brilliant und effektiv.

1:1 – es fehlt noch ein Tor. Hoffnung keimt auf. 45 Minuten Zeit, ein Tor. Das ist machbar.

Auch hier hielten die Mannschaften sich an die Regeln der Dramaturgie: Der Midpoint einer Geschichte (beim Fußball die Halbzeit, das ist eher langweilig), etwas Wichtiges passiert. Es kann die Situation verschlimmern oder verbessern.

Nach der Halbzeit lieferten sich beide Seiten wilde Konflikte, Chancen Hüben wie Drüben. Der BVB rannte an, denn sie brauchten noch ein Tor. Aber es gelang nicht. Ohne die richtigen Ideen versandete das technisch gute Spiel der Borussen am Abwehrbollwerk der Spanier, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten nicht schön zu spielen, sondern zu gewinnen. In der 70. Minute wäre beinahe das Tor für die Gäste gefallen, aber der Dortmunder Torwart konnte im letzten Moment retten. Dem Leser oder Zuschauer stehen die Haare zu diesem Zeitpunkt zu Berge. Immer wieder bange Blicke zur Uhr. Kommt Jungs, das kann doch nicht so schwer sein.

Der Held begeht Konflikt für Konflikt um sein Ziel zu erreichen. Dabei versucht er es mit immer neuen Ideen, aber die Zeit läuft weiter und weiter und wenn sie bei 0 steht, ist es vorbei. Schafft er es, einen Konflikt zu lösen (Chance) tut sich der nächste auf (Konter!).

Die Dortmunder scheitern an diesem Abend vor allem an Willy Caballero, dem Torwart von Malaga, der eine Glanztat nach der nächsten vollbringt. Wie ein unüberwindbarer Fels hat er immer einen Fuß, eine Hand oder sonst ein Körperteil dazwischen und lässt die Borussen ihm wahrsten Sinn verzweifeln.

All is lost – Dark Night of the Soul

Das kennt ihr, wenn ihr „Save the Cat“ gelesen habt oder das 7-Punkte System von Dan Wells benutzt. Der Held kommt an seinen Tiefpunkt, alles scheint verloren. Wir sind am Ende des zweiten und im Übergang zum dritten Akt.

In der 82. Minute trifft Malaga aus einer irregulären Abseitsposition, aber der Schiedsrichter gibt das Tor.

Hier bekommen wir sogar eine zusätzliche Form des Antagonismus. Bislang steht es Spieler gegen Spieler, nun greift auch noch der Schiedsrichter durch eine Fehlentscheidung in das Spiel ein – alles scheint sich verschworen zu haben.

Robert McKee beschreibt 3 Ebenen des Konflikts. Den Inneren (Körper, Selbst, Emotionen), den Persönlichen (Freunde, Familie, „nahe“ Personen) und den Außerpersönlichen (Gesellschaft, Institutionen, Umwelt)

Die Fans raufen sich die Haare. Viele verlassen bereits jetzt das Stadion, enttäuscht. Verzweiflung macht sich breit. Wie kann das sein? Die Leute um mich haben hängende Schultern, die Minen zu Stein erstarrt. Das kann doch alles nicht wahr sein. Es mussten zwei Tore her – in acht Minuten. Das schafft man so gut wie nie.

Storming the Castle und Erkenntnis

Dein Held und seine Gruppe sammeln alle Kräfte um das Schloss zu erstürmen. So tut es der BVB.

Wie Harry Potter im Stein der Weisen erkennt, dass er wegen seines reinen Herzens den Stein in der Tasche hat, erkennt der BVB, dass sie mit Hacke-Spitze-123 nicht weiterkommen und werfen alles was sie haben nach vorne.

Dramaturgisch und mit etwas gutem Willen kann man hier von einem „Need“ sprechen. Die eine, tiefe Erkenntnis die der Held benötigt und die ihm hilft, sein Ziel zu erreichen. Der BVB erkennt, dass es jetzt nur noch hilft, alles nach vorne zu werfen (im Fußball eine ziemlich typische Reaktion, die auch oft nach hinten losgeht – aber dramaturgisch eben höchst wirkungsvoll).

Die 90 Minuten enden, und es steht noch immer 1:2. An der Seitenlinie hält der Schiri die Tafel hoch, auf der die Nachspielzeit angezeigt wird. In dicken, roten Strichen leuchtet dort die Zahl „4″. Die Ticking Clock in unglaublicher Dichte.

Ein Ball wird quer gelegt, es folgt ein Schuss, ein Abwehrspieler kann in letzter Sekunde klären, ich will schon „das gibt´s doch nicht“ brüllen, doch der geklärte Ball landet Marco Reus vor den Füßen und er netzt ein.

Bierduschen ergießen sich über mir und im Stadion passiert etwas. Wie ein unsichtbares Band zwischen Mannschaft und Fans entzündete dieses Tor eine Flamme und 80.000 Fans brüllen ihre Mannschaft nach vorne. Zwei, drei lange Bälle von hinten. Wilde Flanken in die Mitte. Keiner kann mehr ruhig sitzen. Die Fans schreien, 80.000 Herzen hämmern, dass ich es förmlich spüren kann.

Dann kommt von irgendwo eine Flanke in den Strafraum. Der prallt ab, prallt nochmal ab, kullert vor der Linie herum und wird schließlich von einem Borussen über die Linie gedrückt. 3:2 – der Sieg, erkämpft in 4 Minuten. Mannschaft und Stadion rasten aus. Mein Adrenalin pumpt mir durch den Körper, ich zittere und bin erschöpft, als hätte ich gerade einen Halbmarathon gelaufen.

Doch zufrieden mit dem Ergebnis und den unglaublichen Höhepunkten gehe ich nach Hause und habe ein Spiel gesehen, das ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde.

Weil es alle guten Merkmale eines spannenden Dramas hatte – die duch auch für Deine Geschichte nutzen kannst. Jetzt weißt du, was diese Dinge miteinander zu tun haben.

Die letzten 4 Minuten habe ich hier noch einmal auf Video für dich – auch wenn Du kein Fußballfan bist, kannst du das Drama jetzt vielleicht nachvollziehen

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